EuGH: Handysicherstellung und Datenauswertung nur nach gerichtlicher Genehmigung auch für die Bekämpfung nicht schwerer Kriminalität zulässig, wenn dies gesetzlich geregelt und verhältnismäßig ist

In dem Urteil vom 04.10.2024 entschied der EuGH über eine Vorabentscheidungsanfrage des LVwG Tirol vom 06.09.2021 zu einer Handysicherstellung des Adressaten eines Pakets, in dem die Polizei im Zuge einer Suchtmittelkontrolle 85g Cannabiskraut gefunden hatte. Die Polizei versuchte in weiterer Folge vergeblich, das Mobiltelefon zu entsperren, um Zugang zu den darauf gespeicherten Daten zu erlangen.

Das LVwG wurde vom betroffenen Handybesitzer mit einer Maßnahmenbeschwerde gegen die Handysicherstellung angerufen, da die gerichtliche Bewilligung für die Handysicherstellung dafür nicht vorlag und die Entsperrungsversuche weder dokumentiert noch der Betroffene davon informiert wurde (LVwG-2021/23/0829). Erst im Rahmen dieses Verfahrens erfuhr der Betroffene von den Entsperrungsversuchen. Das LVwG ersuchte den Gerichtshof um Auskunft, ob die österreichische Regelung, die nach den Angaben der Polizei diese Vorgehensweise erlauben würde, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, vor allem auch unter Berücksichtigung des Vorwurfs nur eines Strafvergehens und der Strafdrohung der zur Last gelegten Tat von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe.

Der EuGH führte die näheren Voraussetzungen aus, die bei der Beurteilung eines solchen Datenzugangs zu berücksichtigen sind, wie die Art oder die Kategorien der betreffenden Straftaten. Um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in jedem Einzelfall durch eine Gewichtung aller relevanten Gesichtspunkte dieses Falles gewahrt wird, muss der Zugang zudem, außer in hinreichend begründeten Eilfällen, von einer vorherigen Genehmigung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig gemacht werden. Die betroffene Person muss über die Gründe für die Genehmigung informiert werden, sobald die Übermittlung dieser Informationen die Ermittlungen nicht mehr beeinträchtigen kann. Dies gilt gleichermaßen auch, wenn der Datenzugriff nur versucht wurde, weil er nicht erfolgreich war.

Da der Zugang zu allen auf einem Mobiltelefon gespeicherten Daten einen schwerwiegenden oder sogar besonders schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Person darstellen kann, und auch besonders sensible Daten umfassen kann, stellt die Schwere der vorgeworfenen Straftat einen der zentralen Parameter bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines solchen schwerwiegenden Eingriffs dar. Eine Einschränkung auf nur schwerwiegende Straftaten würde jedoch eine erhöhte Gefahr der Straflosigkeit von Straftaten im Allgemeinen und damit eine Gefahr für die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Union bedeuten. Ein solcher Eingriff in das Privatleben und den Datenschutz muss allerdings gesetzlich vorgesehen und definiert sein und von einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle abhängig sein, außer in hinreichend begründeten Eilfällen.

Hier geht’s zur Pressemitteilung des EuGH …

Hier geht’s zum Urteil des EuGH vom 04.10.2024 …

Siehe auch den Lehofer Blog: EuGH-Urteil zur „Handysicherstellung“

Siehe dazu auch in diesem Zusammenhang das Urteil des VfGH: G 325/2021 vom 14.12.2023

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