Kaum jemand hat die Entwicklung der Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung persönlich so geprägt wie Edith Zeller. Ab dem Jahr 2006 als Generalsekretärin unter dem leider zu früh verstorbenen Präsidenten Heinrich Zens, die letzten neun Jahre als Präsidentin. Die Welt ist in dieser Zeit eine andere geworden, wie Edith Zeller in ihrer beeindruckenden Abschiedsrede feststellte, die Anforderungen und Herausforderungen an die Tätigkeit der Richter:innenvereinigungen haben sich geändert. Die Vereinigung sah und sieht sich Herausforderungen gegenüber, die es in dieser Form zuvor noch nicht gegeben hatte.
Die erste Zäsur in ihrer Amtszeit war sicherlich die Finanzkrise 2008, die vor allem Griechenland voll getroffen hatte. Erstmals war man als Vereinigung mit der Frage konfrontiert, inwieweit mit Sparprogrammen im öffentlichen Dienst auch Kürzungen von Gehältern von Richter:innen zulässig sein können und in welchem Ausmaß diese mit der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar sind. Eine Frage, die sich später auch noch für viele Kolleg:innen in anderen EU-Mitgliedstaaten stellte und die u.a. zum richtungsweisenden Urteil des EuGH in der Rechtssache C-64/16 Associação Sindical dos Juízes Portugueses / Tribunal de Contas vom 27.02.2018 führte. Edith Zeller war bereits damals – gemeinsam mit Heinrich Zens – bemüht, eine breite Solidarität der europäischen Richter:innenschaft mit den betroffenen Kolleg:innen auf den Weg zu bringen.
Der nächste Eckpunkt ihrer Amtszeit war die im Jahr 2015 einsetzende Migrationskrise, welche Verwaltungsgerichte in Europa mit noch nicht gekannten Belastungen konfrontierte. Die AEAJ vernetzte und unterstützte die nationalen Interessenvertretungen, um so mehr Ressourcen für die Verwaltungsgerichte zur Bewältigung der Arbeitsbelastung zu erhalten.
Mit dem verhinderten Militärputsch in der Türkei im Jahr 2016 rückte plötzlich ein ganz anderes Problem in den Mittelpunkt der Tätigkeit der Vereinigung: die Unterstützung zu Unrecht inhaftierter Richter:innen. Auch hier war Edith Zeller als Präsidentin der AEAJ ganz maßgeblich daran beteiligt, die bestehenden Richter:innenvereinigungen auf europäischer Ebene zu vernetzen, um finanzielle Mittel für die Verteidigung der betroffenen Kolleg:innen bereitzustellen oder Prozessbeobachter:innen entsenden zu können. Dieses Engagement brachte ihr Kritik in den regierungsnahen türkischen Medien ein, sie wurde dort persönlich angegriffen. Ungeachtet dessen, hat die AEAJ während ihrer Amtszeit nie die Unterstützung der betroffenen türkischen Kolleg:innen aufgegeben.
Fast gleichzeitig mit der Krise in der Türkei begann sich die Rechtstaatskrise in EU-Staaten abzuzeichnen, zuerst in Ungarn, dann in Polen. Auf Grund ihrer vielen persönlichen Kontakte war Edith Zeller als Repräsentantin der AEAJ gefragte Ansprechperson für die EU-Kommisson und für viele Kolleg:innen aus diesen Staaten, die mit diesen Entwicklungen nicht einverstanden waren. Letztlich war Edith Zeller federführend daran beteiligt, dass 2022 die vier größten Richter:innenvereinigungen in Europa den Europäischen Rat wegen der Freigabe der finanziellen Mittel für Polen klagten, obwohl Polen die Vorgaben des EuGH zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz nicht erfüllte. Das Verfahren wird voraussichtlich noch vor der Sommerpause vor dem Europäischen Gericht I. Instanz verhandelt werden.
Die größte persönliche Herausforderung für Edith Zeller in ihrer Zeit als Präsidentin der AEAJ war aber sicherlich die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan und die Hilferufe, die sie von afghanischen Richter:innen erhielt. Während andere Empfänger dieser Hilferufe untätig blieben oder sie an irgendwelche Stellen weiterleiteten, setzte Edith Zeller alle Hebel in Bewegung, um zumindest einige Kolleg:innen zu retten. Ihre Hartnäckigkeit und ihre persönlichen Kontakte – bis hin zum Außenminister von Luxemburg – machten schließlich das Unmögliche möglich und es konnten afghanische Richterkolleg:innen samt ihren Familien tatsächlich gerettet werden. Heute leben sie in Sicherheit in Luxemburg bzw. Deutschland.
Ein besonderes Anliegen war ihr seit einigen Jahren auch die neu eingerichtete Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Ukraine, dort unterstützte sie tatkräftig die Kolleg:innen in Fragen der Unabhängigkeit, oft aber auch bei Stellungnahmen zu Verfahrensgesetzen. Mit der Kriegssituation sind alle diese Entwicklungen auf Eis gelegt. Edith Zeller hält jedoch weiter engen Kontakt zu den ukrainischen Richterkolleg:innen. Und wer sie kennt, weiß, dass sie persönlich dort hinreisen wird, sobald es die Situation erlaubt.
Mit ihrem juristischen Wissen, ihren Sprachkenntnissen und der Fähigkeit, Netzwerke aufzubauen und zu pflegen – das zeigt auch die erstmalige Teilnahme der „American Bar Association“ an einer Veranstaltung der AEAJ – hat sie ihren Nachfolger:innen die Latte hoch gelegt. Gleichzeitig ist es ihr gelungen, die AEAJ zu einer Marke der Rechtstaatlichkeit in Europa zu machen. Darauf lässt sich gut aufbauen und eine neue Ära beginnen.