Praxis-Leitfaden für Gerichtsverhandlungen über Video

Ein vom CEELI-Institut in Prag veröffentlichter Leitfaden spiegelt die seit Beginn der Corona-Pandemie von Richterinnen und Richtern in der praktischen Anwendung von Videoverhandlungen gewonnenen Erkenntnisse wider.

Ziel des Leitfadens ist es, auf Basis der bisherigen Erfahrungen und der aktuellen technologischen Entwicklungen realistische Lösungen für die Praxis anzubieten, da davon auszugehen ist, dass Videoverhandlungen zukünftig einen integralen Bestandteil richterlicher Tätigkeiten bilden werden. Hier ein Überblick:

Vorbereitung der Verhandlung

Wesentliche Voraussetzung für die Verwendung der neuen Technologien ist eine entsprechende Schulung von Richterinnen und Richtern sowie des Gerichtspersonal. Idealerweise sollte die Vorbereitung einer Videoverhandlung nicht Aufgabe der Richterinnen und Richtern sein, sondern durch IT-Experten oder Gerichtsbediensteten erfolgen. Dazu zählt die Kontaktaufnahme mit den Teilnehmern und auch das Angebot, die Verbindung vor Beginn der Anhörung zu testen, eingeschlossen Testgespräche.

Aufgabe des Richters/der Richterin ist es nach dem Einloggen die Identität der Teilnehmer zu überprüfen.

Wenn es möglich ist, sollte das Logo oder das Wappen des Gerichts auf dem Bildschirm sichtbar sein.

Beginn der Verhandlung

Zu Beginn der Anhörung sollte der Richter/die Richterin die einzelnen Programmanwendungen darlegen (z. B. Anweisung geeigneter Kameraeinstellungen, Stummschaltung des Mikrophons und andere Funktionen). Der Richter/die Richterin sollte klarstellen, welche Teilnehmer bei Gericht anwesend sind und wer aus der Ferne zugreift. Die Parteien sollten darüber informieren werden, wie und wann Fragen zu stellen sind oder wie bei technischen Störungen vorzugehen ist.

Weiters sollte der Richter/die Richterin zu Beginn klar und detailliert erläutern, wie die Anhörung durchgeführt wird und welche Folgen unangemessenes Verhalten hat. Die Parteien sollten – sofern die Rechtsordnung das vorsieht – daran erinnert werden, dass es eine Straftat ist, wenn eine Person eine unbefugte Aufzeichnung oder Übertragung von Gerichtsverfahren, die Bilder enthalten, vornimmt oder zu veranlassen versucht. Ebenso kann es rechtswidrig sein, Fotos oder Videos einer Anhörung zu machen.

Während der Verhandlung

Der Richter/die Richterin sollte während der gesamten Verhandlung auf Gerichtsbedienstete (IT-Spezialisten) zurückgreifen können, um den reibungslosen Ablauf der Videoverhandlung zu gewährleisten.

Der Richter/die Richterin sollte sicherstellen, dass die Teilnehmer die üblichen Verhaltensregeln und Anstandsregeln einhalten. Dazu zählt: Wie man den Richter/die Richterin und einander anspricht, wie mit Unterbrechungen und wie mit der Verwendung der „Stumm“ Funktion umzugehen ist.

Der Richter/die Richterin sollte die Teilnehmer während des gesamten Verfahrens überwachen, um sicherzustellen, dass sie an der gesamten Anhörung teilnehmen (z. B. Überprüfung, ob der Bildschirm „eingefroren“ ist usw.) und um gegebenenfalls schnell und angemessen reagieren zu können. Der Richter/die Richterin muss wiederholen, was gerade geschehen ist, wenn ein Teilnehmer nicht in der Lage war, das Verfahren zu verfolgen.

Der Richter/die Richterin sollte sicherstellen, dass er/sie selbst mit allen Verfahrensvorschriften vertraut ist, die für Videoverhandlungen in ihrem Zuständigkeitsbereich gelten. Wenn diese Vorschriften die gleichen Regeln wie für die persönliche Anhörung sind, sollte der Richter/die Richterin prüfen, wie diese Vorschriften in der Videoverhandlung umgesetzt werden, und zwar:

  • wie Personen zu verwarnen sind, um Unterbrechungen oder Störungen zu stoppen oder unangemessenes Verhalten zu beenden,
  • wie ein Ausschluss einer Person von einer Anhörung auf der jeweiligen Plattform erreicht werden kann,
  • wie die Unterbrechung oder Vertagung der Anhörungen erfolgt und
  • wie die Protokollierung durchgeführt wird.

Um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden, sollten Pausen – z.B. fünf bis fünfzehn Minuten pro Stunde – vorgesehen werden.

Am Ende der mündlichen Verhandlung sollte der Richter/die Richterin prüfen, ob alle Parteien in der Lage waren, das Verfahren zu verfolgen. Das Urteil sollte gegebenenfalls gleich erlassen oder die Parteien darüber informieren werden, wann und wie sie es erhalten werden.

Vermeidung unangemessener Einflussnahme bei der Videovernehmung von Zeugen durch:

–  Einvernahme der Zeugen an einem offiziell registrierten Ort, wie einem Gerichtsgebäude, einer anderen zuständigen staatlichen Stelle oder vom Büro eines Rechtsanwalts aus.

– Bereitstellung von Räumen im Gerichtsgebäude, damit Zeugen ihre Zeugenaussagen abgeben können. Der Raum sollte über einen Computer verfügen, der mit der erforderlichen IT ausgestattet ist, um ihre Teilnahme an der Anhörung zu ermöglichen.

– Die Zeugen bitten anzugeben, wer sonst in dem Raum anwesend ist, in dem sie sitzen.

– Die Zeugen bitten, dem Richter/der Richterin den Raum, in dem sie sitzen, „zu zeigen“. Dies könnte während der Anhörung mehrmals geschehen.

– Die Zeugen bitten, ihr Aussagen aus einem Raum mit nur einer Tür zu geben und sicherzustellen, dass sich die Kamera während des Verfahrens auf diese Tür konzentriert. Der Richter/die Richterin kann dann jede Person, die den Raum betritt, auffordern sofort zu gehen.

– Die Zeugen zu bitten, sich vom Bildschirm wegzusetzen, um zu vermeiden, dass sie ihre Aussage vom Bildschirm ablesen. Wenn die Befürchtung besteht, dass eine Zeugenaussage aus einem vorbereiteten „Drehbuch“ gelesen wurde, stellt der Richter/die Richterin Fragen, um festzustellen, ob dies der Fall ist.

–  Die Zeugen bitten, zu Beginn ihrer Aussage eine Erklärung abzugeben, dass sie keiner ungebührlichen Einmischung ausgesetzt sind und niemand im Raum mit ihnen ist.

– Bereitstellung einer vertraulichen Chat-Anlage, einer Mobiltelefonnummer oder anderer elektronischer Geräte, damit ein Zeuge direkt mit dem Richter/der Richterin in Verbindung treten kann, wenn er Bedenken hat.

– Nutzung separater „Zimmer“ auf der Plattform, in der Zeugen warten können, bevor der Richter/die Richterin ihnen erlaubt, die Anhörung „einzugehen“.

– Der Richter/die Richterin sollte all diese Fragen und das Risiko einer unangemessenen Einmischung bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen berücksichtigen.

Hier geht’s zu den „Practical Guidelines For Remote Hearings“

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