Deutschland: Infektionsschutzgesetz schaltet Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte aus

Willkür, Nichtachtung der Justiz und Dauerlockdown: Jens Gnisa, bis 2019 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes und jetzt Direktor des Amtsgerichtes Bielefeld in Nordrhein-Westfalen, attackiert in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ die geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes.

Gerichte bezweifeln Wirksamkeit von Ausgangssperren 

„Man sieht mich selten fassungslos. Aber nun ist es so weit“, schreibt der auf seiner Facebook-Seite. Er sei „entsetzt“, die Pläne des Bundes hätten „mit meinem Demokratieverständnis nichts mehr zu tun“. Bundeskanzlerin Angela Merkel plant mit dem neuen Gesetz unter anderem, ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen in ganz Deutschland die sogenannte Notbremse durchzusetzen.

Gnisa schreibt dazu: „Ab einer Inzidenz von 100 nächtliche Ausgangssperren zu verhängen, obwohl von Gerichten deren Wirksamkeit angezweifelt wurde, ist eine Nichtachtung der Justiz.“ Der Jurist weiter: „Eltern ab einer Inzidenz von 100 zu verbieten, ihre Kinder zu treffen, entspricht für mich auch nicht dem Bild des Grundgesetzes.“ Die angestrebten Maßnahmen seien in dieser Umsetzung „nicht der Brücken-Lockdown von zwei oder drei Wochen, der diskutiert wird“, sagt Gnisa. Sondern „ein nicht mehr einzufangender Dauer-Lockdown“.

Kein Bürgermeister, keine Landesregierung, kein Verwaltungsgericht kann eingreifen

Einen Brücken-Lockdown würde er „mitmachen“. Es werde aber „ein automatisch greifendes System installiert. Niemand kann da mehr vor Ort im Einzelfall korrigierend eingreifen, kein Bürgermeister, kein Landrat, keine Landesregierung, nicht mal die Verwaltungsgerichte.“ Einzig das Bundesverfassungsgericht könnte Entscheidungen „kassieren“.

Nach Ansicht des Richters „dürfte es sich wohl um das am tiefsten in die Grundrechte einschneidende Bundesgesetz der letzten Jahrzehnte handeln“. Das Gesetz mache eine „vorausschauende Lebensplanung weitgehend in vielen Bereichen unmöglich: Weil man immer quasi über Nacht mit einem automatisch eintretenden Lockdown rechnen muss“.

Zudem trete der Lockdown „völlig unabhängig davon ein, ob überhaupt noch jemand stirbt, ob sich noch jemand auf den Intensivstationen befindet und wie viel schwere Verläufe es gibt“. Die ganze Gesellschaft werde auf „Autopilot“ gestellt. „Und ja, darüber rege ich mich nicht nur auf, ich bin entsetzt.“

Der Bundestag spiele nach der Verabschiedung des Gesetzes zudem „keine Rolle mehr. Es entscheiden nur noch Bundesregierung und Bundesrat. Also nur noch die Exekutive“. Das habe „mit meinem Demokratieverständnis nichts mehr zu tun“. Gnisa betont: „Und nochmals: Ich bin nicht gehen einen Lockdown, er mag notwendig sein. Aber bitte nicht mit solchen Instrumenten.“

„Nur auf die Inzidenz abzustellen ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich“

Dass die Inzidenz als maßgeblicher für Ausgangssperren herangezogen wird, ist nach Ansicht des Juristen untragbar: „Nur auf die Inzidenz abzustellen ist bei derartig drastischen Maßnahmen willkürlich, weil die reine Inzidenz davon abhängt wie viel getestet wird. Dies ist manipulierbar.“

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Siehe dazu: Oberverwaltungsgericht Lüneburg zweifelt am Mittel der Ausgangssperre

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