Hinnerk Wißmann, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Münster, bezweifelt in seinem Beitrag auf Verfassungsblog.de die Angemessenheit und Evidenzbasiertheit der Grundrechtseinschränkungen durch die von der deutschen Bundesregierung ergriffenen Corona-Maßnahmen.
Die Infektionsschutzpolitik könne sich nicht dem Hinweis auf die notwendige „Vorsorge“ von einem verbindlichen Tatsachenbezug verabschieden, um in den Bereich der dauernden Modellierung von Wirklichkeit zu wechseln. Und dem entsprechend reiche es auch nicht aus, die Frage nach der Geeignetheit der brachialen Maßnahmen über Wochen und Monate angesichts bescheidener Erfolge mit der Feststellung abzuwehren, ohne genau diese Maßnahmen stünde man jedenfalls schlechter da. Das sei in einem ganz schlichten Sinn nicht zu widerlegen, verwechsle aber letztlich die Welt mit einem Labor.
Nur in unübersichtlichen, zeitlich und sachlich begrenzten Sondersituationen werde dem Staat zugebilligt, „auf Verdacht“ zu handeln, wie das zu Beginn der Corona-Epidemie im letzten Frühjahr vertreten werden konnte. Aber statt die Anforderungen etwa an den Nachweis von Tatsachen und Begründungen für die Wirksamkeit von Maßnahmen zu erhöhen, werde derzeit ganz im Gegenteil erwartet, dass sich das Publikum an eine „Im-Zweifel-für-die-Sicherheit“-Begründung gewöhnen soll. Der Begriff der „Vorsorge“ kehre die Beweislast um. Freiheit, die ihre Ungefährlichkeit beweisen müsse, sei abgeschafft.
Die Politik habe sich vollkommen an eine einseitige (intensiv-)medizinische Perspektive gebunden und sie in der ihr eigenen Art zu einem totalen Anspruch umformuliert. Wenn die Politik ihre Formeln („Jeder Tote ist zu viel!“) ernst nehme, müsse sie scheitern oder sie führe letztlich in die totale Entgrenzung des Maßnahmenstaats.