Deutschland: Sind die „Dieselrichter“ nicht unabhängig?

In einem Schadensersatzverfahren betreffend abgasmanipulierte Dieselfahrzeuge hat sich ein Richter des Landgerichtes Erfurt an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg gewandt. In einem Vorabentscheidungsverfahren verlangt er u.a. nach Klärung, ob „es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 S. 3 EUV sowie Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ handelt.

Damit zweifelt nach dem Verwaltungsgericht Wiesbaden schon das zweite deutsche Gericht seine eigene Unabhängigkeit an. (Siehe dazu: Vorlage an den EuGH – Deutsches Verwaltungsgericht zweifelt an seiner Unabhängigkeit)

Enge Verzahnung von Justiz und Verwaltung

Hintergrund ist zunächst die seit langem bestehende Forderung der Richterverbände, die Justiz viel weitgehender als bisher von den Justizministerien abzukoppeln. Weder die Richter persönlich noch die Gerichte als Institutionen, so der anfragenden Richter, seien vor politischer Einflussnahme vollständig sicher. Die Ministerien entscheiden über Planstellen und materielle Ausstattung, ebenso die Beförderung und Einstellung auf Basis von Beurteilungen, die den Gerichtspräsidenten obliegt. Auch personell seien Ministerien und Justiz eng verzahnt, v.a. durch die Praxis, Richter ans Ministerium abzuordnen. „Die aus vordemokratischer Zeit stammende Justizstruktur setzt einer politischen Instrumentalisierung keine ausreichenden Hindernisse entgegen. Es fehlt an der constitutional resilience.“

Und das bezieht der Richter auch ganz konkret auf den Dieselskandal: Am beklagten VW-Konzern sei „der Staat in erheblicher Weise beteiligt. Angesichts der mit der deutschen Autoindustrie verbundenen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen, gerade in den Zeiten der Pandemie, und aufgrund der schieren Masse an Verfahren ist der auf den Gerichten lastende Druck außerordentlich hoch. Es ist auch aufgefallen, dass Zivilgerichte mit einer Nähe zur Beklagten – anders als die große Mehrheit der deutschen Instanzgerichte und nunmehr der Bundesgerichtshof – die Klagen gegen die Beklagte abgewiesen haben.“

Als Beleg zitiert er aus einem Schreiben des Präsidenten des Oberlandesgerichts Dresden an die anderen OLG-Präsidenten in Deutschland. In dem Schreiben mit dem Titel „Weitere Bearbeitung der sogenannten VW-Verfahren“, habe der Dresdener OLG-Präsident zur Prüfung angeregt, die weitere Bearbeitung und Entscheidung von Dieselverfahren „zurückzustellen“, und eine ablehnende Haltung gegenüber einer „Chance der vollen Rückzahlung des Kaufpreises ohne jeden Abzug für eine – auch jahrelange – Nutzung des Fahrzeugs“ deutlich zum Ausdruck gebracht.

Einschränkung der Befugnis zur Einholung von Vorabentscheidungen?

Zuletzt warnt der Erfurter Richter den EuGH, dass die angeblich mangelnde Unabhängigkeit der Justiz auch seinen eigenen Zugriff auf Fallmaterial tangieren könnte. In Deutschland werde diskutiert, den Instanzgerichten die Möglichkeit, Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen, wegzunehmen. Diesen Vorschlag hatte etwa der frühere Vizepräsident des BVerfG Ferdinand Kirchhof gemacht.

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