Mit dem Ende letzter Woche verkündetem Urteil hat das deutsche Bundesverfassungsgericht mehreren Verfassungsbeschwerden gegen das Staatsanleihekaufprogramm der EZB stattgegeben und festgestellt, deren Beschlüsse zum Staatsanleihekaufprogramm seien kompetenzwidrig erfolgt. (Siehe dazu: Pressemitteilung Nr. 32/2020 vom 5. Mai 2020)
In Reaktion auf dieses Urteile hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat gewarnt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihe-Käufen der Europäischen Zentralbank das Justizsystem der Europäischen Union gefährden könne. Zwar kommentiere der EuGH Urteile nationaler Gerichte nicht, teilte der Gerichtshof mit. Er verwies allerdings die ständige Rechtsprechung des EuGH, wonach „ein im Vorabentscheidungsverfahren ergangenes EuGH-Urteil für das vorlegende nationale Gericht bindend ist“, so der Gerichtshof.
Der Europäische Gerichtshof betonte, dass nur er feststellen dürfe, ob die Handlung eines EU-Organs gegen EU-Recht verstößt. So werde die einheitliche Anwendung des EU-Rechts gewahrt.
„Meinungsverschiedenheiten der mitgliedstaatlichen Gerichte über die Gültigkeit einer solchen Handlung wären nämlich geeignet, die Einheit der Unionsrechtsordnung aufs Spiel zu setzen und die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen“, erläuterte der Gerichtshof. Nationale Gerichte seien dazu verpflichtet, „die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren.“
Auch die Europäische Kommission sieht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts kritisch. Nach Informationen des Spiegel schließt die EU-Kommission nicht aus, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten, wenn die Bundesregierung bei der Umsetzung des Urteils gegen europäisches Recht verstoßen sollte. Ein Sprecher sagte, man prüfe das Urteil derzeit.
Für Unmut bei Rechtsexpertinnen und EU-Politikern sorgt vor allem die Kritik der Verfassungsrichter am Europäischen Gerichtshof. Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber klagt, die Karlsruher Richter hätten „eine Grenze überschritten“. Wenn sich in der Folge Polens Verfassungsgericht „mit den gleichen Argumenten über den EuGH hinwegsetzen würde, sind wir auf abschüssigem Gelände“, warnte er. (Siehe dazu: EuGH sieht europäisches Justizsystem durch EZB-Urteil gefährdet)
Wie zur Bestätigung dieser Befürchtungen hat Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki das deutsche Bundesverfassungsgericht für sein aufsehenerregendes Urteil zur Europäischen Zentralbank bereits gelobt. Es sei „eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der Europäischen Union“, schrieb Morawiecki in einer Mitteilung an die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. Es sei vielleicht zum ersten Mal so klar gesagt worden: „Die Verträge werden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen.“ (siehe dazu: Polen lobt deutsches Urteil gegen EU-Gericht)