Es mehren sich die Indizien, dass die vom Corona-Virus verursachten Lungenerkrankungen dort besonders viele Opfer fordern, wo Personen bereits hohen Schadstoffkonzentrationen in der Luft ausgesetzt waren. Wie in der Lombardei.
Luftverschmutzung ist das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko
Vor rund eineinhalb Jahren hat der EU-Rechnungshof einen Sonderbericht zur Luftverschmutzung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union veröffentlicht. Nach diesem Bericht kostet die Schadstoffkonzentration in der Luft jährlich etwa 400.000 Menschen vorzeitig das Leben.
Obwohl die Luftverschmutzung damit das größte umweltbedingte Gesundheitsrisiko in der Europäischen Union darstellt und die Luftverschmutzung zehn mal mehr Opfer fordert als Verkehrsunfälle, blieben diese Feststellungen von Politik und Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Das Corona-Virus könnte das ändern.
Grenzwerte seit 1980
Bereits im Jahr 1980 wurden mit der Richtlinie 80/779/EWG erstmals EU-Grenzwerte für SO2-Konzentrationen festgelegt. Es folgten weitere Richtlinien, die sich auf weitere Luftschadstoffe bezogen und mit denen die diesbezüglichen Grenzwerte aktualisiert wurden. In der Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG aus dem Jahr 2008 sind Luftqualitätsnormen (einschließlich Grenzwerte) für die Konzentrationen von Luftschadstoffen mit den größten gesundheitlichen Auswirkungen festgelegt .
Auch wenn die Luftqualitätsgrenzwerte der EU viel weniger streng sind als jene in den Leitlinien der WHO, werden sie von dem Mitgliedsstaaten flächendeckend ignoriert. Stand Jänner 2018 liefen gegen mehr als 2/3 der Mitgliedsstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen massiver Grenzwertüberschreitungen. Durch die Verzögerungstaktik der Regierungen dauert es vom Zeitpunkt der Feststellung eines Verstoßes bis zur Überweisung des Falls an den EuGH durch die Kommission mindestens (!) sieben Jahre.
„Recht auf saubere Luft“
Der Europäische Gerichtshof hat bereits in der Rechtsache Janecek, EuGH C-237/07, entschieden, dass natürliche und juristische Personen, die unmittelbar von der Gefahr einer Überschreitung der Grenzwerte oder der Alarmschwellen betroffen sind, bei den zuständigen Behörden erwirken können, dass beim Vorliegen einer solchen Gefahr ein Aktionsplan erstellt wird. Dieses Recht leitet sich direkt aus der Richtlinie ab.
Zuletzt wurde Frankreich vom EuGH verurteilt, weil dort in zwölf Ballungsgebieten, darunter auch die Städte Paris, Marseille und Straßburg, jahrelang und systematisch gegen EU-Vorgaben für saubere Luft verstoßen wurde. Damit gab das Gericht der EU-Kommission Recht, die wegen erhöhter NO2-Werte Klage gegen Frankreich erhoben hatte.
Stadtbewohner sind schädlichen Luftschadstoffkonzentrationen ausgesetzt
Angaben der Europäischen Umweltagentur (EUA) zufolge waren im Jahr 2015 rund ein Viertel der in städtischen Gebieten lebenden Menschen in Europa Luftschadstoffkonzentrationen ausgesetzt, die einige EU-Luftqualitätsnormen überschreiten, und bis zu 96 % der in städtischen Gebieten lebenden Bürger der EU waren Luftschadstoffkonzentrationen ausgesetzt, die von der WHO als gesundheitsschädlich betrachtet werden. (Siehe dazu: Feinstaub und Ozon – mit Abstand die größte Pandemie)
Nach einem von der „European Lung Foundation“ veröffentlichten Bericht zeigte sich am Beispiel bestimmter Feinstaubpartikel, dass pro fünf Mikrogramm pro Kubikmeter Luft, denen die Probanden im jährlichen Durchschnitt mehr ausgesetzt waren, sich die Lungenfunktion ähnlich stark wie durch zwei zusätzliche Lebensjahre reduzierte.
Die meisten Patienten, die Covid-19 bislang erlagen, sind als Folge eines schweren Verlaufs an Lungenentzündungen, an Atemnot oder Sepsis gestorben. Inwieweit die jahrzehntelange Nichtbeachtung verbindlicher EU-Normen in Gestalt der Luftqualitätsrichtlinie mitverantwortlich für die Bedrohlichkeit der Corona-Pandemie ist, werden erst später Studien zeigen. Für Italien lässt sich dieser Zusammenhang wohl schon jetzt herstellen, liegen doch von den 100 europäischen Städten mit der höchsten Luftverschmutzung 24 in Norditalien. Schlechte Nachrichten für Madrid (Siehe dazu: Erstmals Fahrverbote nach Smog in Madrid)
Hier geht’s zum Sonderbericht des Europäischen Rechnungshof Nr. 23/2018 …