VwGH Judikatur / AVRAG: Nichtvorlage von Lohnaufzeichnungen bleibt strafbar

Der Europäische Gerichtshof hatte mit Urteil vom 12.09.2019, Rechtssache C‑64/18 u.a. (Maksimovic) ausgesprochen, dass die Strafbestimmungen im österreichischen Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes (in concreto: § 7i Abs. 4 AVRAG) nicht im Einklang mit dem Unionsrecht stehen, da die vorgesehenen Strafdrohungen unverhältnismäßig sind.

Eine wirksame Durchsetzung der Verpflichtungen könnte auch mit weniger einschränkenden Maßnahmen wie der Auferlegung von Geldstrafen in geringerer Höhe oder einer Höchstgrenze für solche Strafen gewährleistet werden, und ohne sie zwangsläufig mit Ersatzfreiheitsstrafen zu verknüpfen.

Im seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034 setzt sich der Verwaltungsgerichtshof nun mit der Frage auseinander, inwieweit die Strafbestimmungen des AVRAG weiter angewendet werden können. Er stellt dazu fest, im Wege der Verdrängung des nationalen Rechts durch Unionsrecht darf nur jene von mehreren unionskonformen Lösungen zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt.

VwGH: Einzige Geldstrafe ist zwingende Folge des Unionsrechts

Eine unionsrechtskonforme Rechtslage kann im gegenständlichen Fall nach Auffassung des Gerichtshofes am ehesten (sic!) dadurch hergestellt werden, dass die Wortfolge „für jede/n Arbeitnehmer/in“ in § 7i Abs. 4 AVRAG unangewendet bleibt, weil damit im Ergebnis dem sich dem Urteil des EuGH ergebenden Erfordernis einer Höchstgrenze für die Summe aller Geldstrafen bei Verstößen gegen die Bereitstellungspflicht betreffend mehrere Arbeitnehmer Rechnung getragen wird.

Dass damit die Verletzung der Bereitstellungspflicht, auch wenn sie mehrere Arbeitnehmer betrifft, nur mehr eine einzige Strafe nach sich zieht, ist nach Auffassung des Gerichtshofs zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen.

EuGH zur Verpflichtung des nationalen Richters

Wie der EuGH u.a. zu C-384/17 vom 4.10.2018 ausgesprochen hat, verlangt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung von den nationalen Behörden und Gerichten, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem vom Unionsrecht verfolgten Ziel im Einklang steht.

Daraus folgt aber nicht, dass der nationalen Richter verpflichtet ist, sich an die Stelle des nationalen Gesetzgebers zu setzen.

Die Verpflichtung des nationalen Richters bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechtes des Inhaltes des Unionsrechtes heranzuziehen, hat ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

VfGH zum Bestimmtheitsgebot bzw Klarheitsgebot von Strafbestimmungen

Im Erkenntnis VfSlg. 8903/1980 führte der Verfassungsgerichtshof zum Bestimmtheitsgebot bzw Klarheitsgebot von Strafbestimmungen allerdings aus:

„Es darf nicht der individuellen Vollziehung überlassen bleiben, eine im Wortlaut eindeutige Strafnorm ergänzend oder berichtigend auszulegen (’nulla poena sine lege‘; vgl. zur Unzulässigkeit einer Auslegung zum Nachteil eines Beschuldigten zB OGH 17.9.1975 9 Os 83-85/75, ÖRZ 1976 S 37 f.; OGH 21.4.1977 12 Os 9/77 verst. Senat, ÖRZ 1977, S 131 ff.). Eine extensive Auslegung eines Strafgesetzes in malam partem würde auch gegen die der österr. Verfassungsordnung angehörende Bestimmung des Art7 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBl. 210/1958 in Verbindung mit dem BVG BGBl. 59/1964 verstoßen (vgl. Europäische Kommission für Menschenrechte Entscheidung 24.9.1963, Requete No. 1169/61, Slg. des Europarates Band 13 S 39 f.; Entscheidung 22.4.1965, Application No. 1852/63, Slg. des Europarates Band 16 S 38 f.).“

 

Mit Erkenntnis VfSlg. 9401/1982 sagte der VfGH schließlich – unter Berufung auf das eben zitierte Erkenntnis ausdrücklich aus, im Hinblick auf die Anforderung, „daß der Gesetzgeber die Elemente eines strafbaren Tatbestandes genau zu umschreiben“ habe, dürfe es nicht der individuellen Vollziehung überlassen bleiben, eine Strafnorm ergänzend auszulegen; auf Grund einer – am Art7 MRK orientierten – verfassungskonformen Auslegung kam der Gerichtshof daher zur Aufhebung des damals angegriffenen Bescheides.

 

Und: Hartes Strafregime gegen Lohndumping steht auf der Kippe

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