Vorlage an den EuGH: Deutsches Verwaltungsgericht zweifelt an seiner Unabhängigkeit

Die  „nationale Verfassungslage“ in Deutschland, so der Beschluss der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, gewährleiste „nur die funktionale richterliche Unabhängigkeit, nicht aber eine institutionelle Unabhängigkeit der Gerichte“.

Das Gericht sehe sich daher verpflichtet, beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg anzufragen, ob es die europarechtlichen Vorgaben nach Art. 47 Abs. 2 Grundrechte-Charta eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts erfüllt.

Verwaltung bestimmt äußere und innere Organisation der Gerichte

Die Vorlage führt dazu aus, dass in Deutschland zwar die Richter selbst unabhängig seien und nur dem Gesetz unterworfen. Eine solche rein „funktionelle“ Unabhängigkeit reiche aber nicht aus, „um ein Gericht vor jeder äußeren Einflussnahme zu bewahren“. Dabei gehe es nicht nur um Weisungen, sondern auch um mittelbare Einflüsse, die eine Entscheidung der Richter steuern könnten. Letztlich entscheide immer das Justizministerium über die Planstellen und die Anzahl der Richter an einem Gericht sowie über dessen Ausstattung. Auch die Personalgrundakten eines jeden Richters würden beim Hessischen Ministerium der Justiz geführt, Auslandsdienstreisen eines Richters, z.B. im Rahmen des Europäischen Netzwerks zur justiziellen Fortbildung (EJTN), müssten vom Ministerium angeordnet werden.

Auch werde die äußere und innere Organisation vom Ministerium mit der Geschäftsordnung für die Gerichte und Staatsanwaltschaften und anderen Rechtsakten vorgeben. Das Ministerium bestimme im Wege eines zentralen Dienstleisters die Kommunikationswege (Telefon, Fax, Internet und mehr) und die EDV-Ausstattung der Gerichte. Dieser Dienstleister sei auch mit der Wartung der IT-Infrastruktur betraut, mit der Folge, dass die Verwaltung auf alle Daten der Gerichte letztendlich zugreifen könne, auch wenn sie es in der Praxis vielleicht nicht tue.

Erledigungsdruck durch Belastungsstatistik

„Bereits die bloße Gefahr einer politischen Einflussnahme auf die Gerichte (durch Ausstattung, Personalzuweisung usw. durch das Justizministerium) kann eine Gefahr des Einflusses auf die Entscheidungen der Gerichte um deren unabhängige Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinträchtigen bewirken“, heißt es in der Vorlage. Sie warnt vor einem „vorauseilenden Gehorsam“ durch vermeintlichen Erledigungsdruck, der etwa über „eine vom Ministerium betriebene Belastungsstatistik“ ausgeübt werde.

Abschließend kommt die Vorlage zu dem Ergebnis: „Nach alledem dürfte das vorlegende Gericht die europarechtlichen Vorgaben nach Art. 47 Abs. 2 GrCH eines unabhängigen und unparteiischen Gerichts nicht in diesem Sinne erfüllen.

Hier geht’s zum Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden

Siehe auch:

Europarat: Organisations- und Dienstrecht des Verwaltungsgerichts Wien widersprechen in wesentlichen Bereichen europäischen Standards

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