EU- Kommission eröffnet Debatte zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit

Die Europäische Kommission möchte einen Reflexionsprozess über die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union anstoßen und mögliche Schritte für das weitere Vorgehen aufzeigen. Ziel dieses Prozesses ist es, in den einzelnen Mitgliedsstaaten Probleme in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit früher zu erkennen um rascher wirksame Maßnahmen  ergreifen zu kennen. 

Funktionieren der EU hängt von der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten ab

In der kürzlich veröffentlichten  Mitteilung wird eine Bestandsaufnahme der verfügbaren Instrumente für die Überwachung, die Bewertung und den Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der Union vorgenommen. Zudem werden die Erfahrungen beleuchtet, die in den vergangenen Jahren auf diesem Gebiet gesammelt worden sind und auf deren Grundlage ein breite europäische Debatte über die Frage, wie die Rechtsstaatlichkeit weiter gestärkt werden kann, in Gang gebracht werden soll. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben vor allem gezeigt, dass die Rechtsstaatlichkeit besser gefördert, etwaigen Problemen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in der Union frühzeitig vorgebeugt und wirksamer auf solche Probleme reagiert werden muss.

Der Erste Vizepräsident Frans Timmermans erklärte dazu: „Es ist heute mehr denn je erforderlich, dass die Union in der Lage ist, die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Erstens handelt es sich dabei um eine Frage unserer Grundwerte, d.h. die Frage, wer wir sind. Zweitens hängt das Funktionieren der EU als Ganzem von der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten ab. Daher gilt es nunmehr, mit allen Organen und allen Mitgliedstaaten sowie mit den verschiedenen Behörden und sonstigen Beteiligten gemeinsame Überlegungen darüber anzustellen, wie wir die Rechtsstaatlichkeit der Union schützen und fördern können.“

In den letzten Jahren ist die Rechtsstaatlichkeit in Europa immer stärker unter Druck geraten, worüber in den Debatten in der Union, auf internationaler Ebene und in der Zivilgesellschaft zunehmend konkrete Besorgnis geäußert worden ist. Dabei ist deutlich geworden, dass für den Schutz, die Stärkung und die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der gesamten Union mehr getan werden muss. Diese Mitteilung soll diesen Prozess auf Basis der laufenden Diskussionen und der bisherigen Erfahrungen in Gang bringen, indem sie eine Reihe von Möglichkeiten für Überlegungen über das weitere Vorgehen aufzeigt.

Möglichkeiten für das weitere Vorgehen

Es liegt in der gemeinsamen Verantwortung der EU-Organe und aller Mitgliedstaaten, die Rechtsstaatlichkeit in der Union zu schützen, zu stärken und zu wahren. Die Kommission verfügt über eine breite Palette von Instrumenten für die gründliche Überwachung und Bewertung von Problemen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten sowie für die Ergreifung geeigneter Abhilfemaßnahmen (der bestehende EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips, Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 EUV, Vertragsverletzungsverfahren, das Europäische Semester, das EU-Justizbarometer und das Kooperations- und Kontrollverfahren) und hat von diesen Instrumenten auch bereits Gebrauch gemacht. Auf der Grundlage der Erfahrungen, die dank dieser Instrumente bisher gesammelt werden konnten, stellt die Kommission heute drei Säulen vor, die zur wirksamen Durchsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in der Union beitragen könnten:

  • stärkere Förderung der Rechtsstaatlichkeit: Die Rechtsstaatlichkeitsstandards der EU und ihre einschlägigen Gerichtsurteile sind auf nationaler Ebene nicht immer hinlänglich bekannt. Daher sollten verstärkt Anstrengungen unternommen werden, die Kenntnis der Rechtsstaatlichkeitsstandards und der einschlägigen Gerichtsurteile auf nationaler Ebene zu verbessern. Erreicht werden könnte dies beispielsweise durch an die Öffentlichkeit gerichtete Kommunikationsmaßnahmen, gemeinsame EU-Konzepte zur Förderung einer stärkeren Rechtsstaatlichkeitskultur in wichtigen Institutionen und Berufskreisen, ein fortgesetztes gemeinsames Engagement mit dem Europarat und die Einbindung der Zivilgesellschaft auf regionaler und auf lokaler Ebene.
  • frühzeitige Vorbeugung gegen Probleme in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit: Für die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips auf nationaler Ebene sind in erster Linie die einzelnen Mitgliedstaaten verantwortlich. Die EU kann allerdings wichtige Unterstützung zur Stärkung der Belastbarkeit der zentralen Systeme und Einrichtungen leisten. Eine regelmäßige Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Dialog könnten zu einem besseren Verständnis der Situation und der Entwicklung in Sachen Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten und somit zu einer frühzeitigen Lösung etwaiger Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit beitragen.
  • wirksame Reaktion: Da es vielfältige Herausforderungen an die Rechtsstaatlichkeit gibt, bedarf es vielfältiger wirksamer Lösungen auf diesem Gebiet. Die Kommission wird auch künftig mithilfe von Vertragsverletzungsverfahren für die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts sorgen. Unterschiedliche Ansätze können zudem in bestimmten Politikbereichen wie in Bezug auf den Vorschlag der Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der EU angebracht sein. Zusätzlich könnten bestimmte Anpassungen des EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips ausgelotet werden, beispielsweise eine frühzeitige Unterrichtung des Rates und des Europäischen Parlaments, die Verstärkung der von diesen geleisteten Unterstützung und eine klare zeitliche Begrenzung der Dialogphase.

Nächste Schritte

Die Kommission möchte das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, die Mitgliedstaaten und die einschlägigen Interessenträger einschließlich der justiziellen Netze und der Zivilgesellschaft einladen, Überlegungen über die in der heutigen Mitteilung angesprochenen Themen anzustellen und konkrete Ideen zu der Frage einzubringen, wie das in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit bestehende Instrumentarium verstärkt werden könnte.

Die Kommission wird dieses Thema im Juni 2019 mit eigenen Schlussfolgerungen und Vorschlägen, die sich auf die Ergebnisse dieser Überlegungen und der laufenden Debatte gründen werden, erneut aufgreifen.

Hintergrund

Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der gemeinsamen Werte, auf die sich die Europäische Union gründet und die sich alle Mitgliedstaaten zu Eigen gemacht haben. Sie ist als solche in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert. Sie ist zudem von wesentlicher Bedeutung für das Funktionieren der EU als Ganzes (also beispielsweise für den Binnenmarkt und die Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres) und für die Sicherstellung, dass mitgliedstaatliche Richter, die ja zugleich auch „EU-Richter“ sind, ihrer Aufgabe nachkommen können, die Anwendung des EU-Rechts sicherzustellen und im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren ordnungsgemäß mit dem Gerichtshof der EU zusammenarbeiten können. Nach den Verträgen ist die Europäische Kommission zusammen mit den anderen Organen und den Mitgliedstaaten dafür zuständig, die Rechtsstaatlichkeit als Grundwert der Union zu garantieren und für die Achtung des Rechts, der Werte und der Grundsätze der EU zu sorgen.

Die Kommission verfügt über eine breite Palette von Instrumenten für die gründliche Überwachung und Bewertung von Problemen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten sowie für die Ergreifung geeigneter Abhilfemaßnahmen, darunter beispielsweise Vertragsverletzungsverfahren, das Europäische Semester, das EU-Justizbarometer und das Kooperations- und Kontrollverfahren. Am 11. März 2014 nahm die Europäische Kommission einen neuen Rahmen für den Umgang mit einer systemischen Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in einem der Mitgliedstaaten der EU an. Dieses Instrument ermöglicht der Kommission, mit dem betreffenden Mitgliedstaat in einen zeitlich gestaffelten Dialog einzutreten, um zu verhindern, dass sich die systemische Bedrohung des Rechtsstaats ausweitet. Das symbolträchtigste, wenn auch nur für Ausnahmefälle vorgesehene Instrument zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit ist das Verfahren nach Artikel 7 EUV, das die EU bei einer ernsten Verletzung des Rechtsstaatsprinzips in einem Mitgliedstaat auslösen kann. Bisher ist das Verfahren nach Artikel 7 EUV erst in zwei Fällen ausgelöst worden: im Dezember 2017 (von der Europäischen Kommission) in Bezug auf Polen und im September 2018 (vom Europäischen Parlament) in Bezug auf Ungarn.

Durch die Übersendung eines sich auf die neue Disziplinarregelung für Richter beziehenden Aufforderungsschreibens an Polen hat die Kommission zudem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet (vollständige Pressemitteilung).

Teilen mit: