Umweltrecht: Internationaler Workshop zum Geltungsbereich der Aarhus Konvention an der Universität Salzburg

Auf nationalstaatlicher Ebene sendet die österreichische Bundesregierung in Umweltfragen mit dem vorgelegten Standortsicherungsgesetz und dem Aarhus-Beteiligungsgesetz durchaus widersprüchliche Signale aus.  Mit dem europarechtlichen Rahmen, der in Umweltfragen von der Aarhus Konvention vorgegeben wird, beschäftigte sich eine hochkarätig besetzte Veranstaltung vom 30. August bis 1. September an der juridischen Fakultät der Universität Salzburg. Die Veranstaltung unter dem Titel: „The Aarhus Convention with a focus on Access to Information and Access to Justice“ wurde mit Unterstützung des Landes Salzburg in Kooperation mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung (AEAJ) durchgeführt.  Ein Bericht von Edith Zeller und Gudrun Müller (Verwaltungsgericht Wien).

Nach der Eröffnung durch Herrn Dr. Michael Geistlinger, Professor für Öffentliches Recht an der Unversität Salzburg, und der Landtagspräsidentin Dr. Brigitta Pallauf
stellte Senatspräsident des VwGH Dr. Martin Köhler das Rechtschutzsystem im Österreichischen Umweltrecht dar und erörterte die Umsetzungsmängel und Probleme im Zusammenhang mit dem Rechtschutz im Umweltbereich. Insbesondere die aktuellen Gesetzesnovellen wurden im Lichte der Rechtsprechung des EuGH beleuchtet und bewertet.

Aufgrund von internationalem und europäischem Recht und dessen Umsetzung wurde eingehend die Rechtslage anhand von aktuellen Fällen des EuGH erörtert. Als Basis und Hintergrund des Rechts auf Information und dem Zugang zu den Gerichten wurden zunächst die Bestimmungen der Aarhus Konvention dargestellt, die von der EU aber auch allen Mitgliedsstaaten der EU und anderen Staaten außerhalb der EU unterzeichnet wurde.

Die Aarhus-Konvention ist ein Übereinkommen der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Die Konvention ist der erste völkerrechtliche Vertrag, der jeder Person Rechte im Umweltschutz gewährt. Sie trat am 30. Oktober 2001 in Kraft und zählt derzeit 47 Vertragsparteien. Im Jahr 2005 wurde die Aarhus Konvention in Österreich (BGBl. III Nr. 88/2005) ratifiziert und ist sie am 17. April 2005 in Kraft getreten.

Die drei Säulen der Konvention wurden von Fruzsina Bögös, Richterin am Verwaltungsgericht Budapest und Mitglied des Ausschusses für die Überwachung der Einhaltung der Aarhus Konvention, dargestellt:

1. Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen:

Die Öffentlichkeit soll das Recht haben – unabhängig vom Nachweis eines besonderen Interesses – Zugang zu Informationen über den Zustand der Umwelt, der Gesundheit und sonstige Einflussfaktoren auf die Umwelt zu erhalten.

Dieser Anspruch besteht nicht nur gegenüber den Verwaltungsbehörden, sondern u.U. ebenso gegenüber Privaten, die öffentliche Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes wahrnehmen und unter den weitgefassten Behördenbegriff der Aarhus-Konvention fallen.

2. Beteiligung der Öffentlichkeit an bestimmten umweltbezogenen Entscheidungen, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können (Art 6):

Die Konvention legt die Mechanismen der Öffentlichkeitsbeteiligung fest, vor allem in Hinblick auf den Zeitpunkt, die Form und den Umfang der Mitwirkung der Öffentlichkeit.

In einem Anhang sind die Tätigkeiten aufgelistet, die jedenfalls der Öffentlichkeitsbeteiligung unterliegen (zB Großprojekte wie Industrieanlagen, Flughäfen, Dämme, Abfallbehandlungsanlagen, Nuklearanlagen, Straßenbau). Darüber hinaus ist eine Beteiligung der Öffentlichkeit auch bei sonstigen Tätigkeiten vorgesehen, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können, wobei die nähere Ausgestaltung dieser Bestimmung den einzelnen Vertragsstaaten obliegt.

Schließlich sieht die Aarhus-Konvention im Rahmen der 2. Säule vor, dass Vertragsparteien sich bemühen sollten, eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Vorbereitung von rechtsverbindlichen Bestimmungen (z.B. Verordnungen), die erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben können, zu fördern (Artikel 8).

3. Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten (Artikel 9). 

Die Konvention bestimmt hierbei in Bezug auf die 1. Säule (Zugang zu Umweltinformationen), dass jede Person bei Ablehnung oder ungenügender Beantwortung eines Antrags auf Umweltinformation Zugang zu einem Überprüfungsverfahren haben soll. Dieses Verfahren muss vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle durchgeführt werden. (Art. 9 Abs.1)

In Bezug auf die 2. Säule (Beteiligung der Öffentlichkeit an Verfahren zur Erstellung umweltbezogener Pläne, Programme und Politiken) legt die Konvention fest, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder Tribunal haben sollen, wenn sie die materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von umweltrelevanten Projektgenehmigungen anfechten wollen. Dieser Rechtsanspruch steht jenen zu, die entweder ein „ausreichendes Interesse“ haben oder aber alternativ eine „Rechtsverletzung“ (z.B. subjektiv-öffentliches Interesse verletzt) geltend machen, sofern das nationale Verwaltungsverfahrensrecht dies als Voraussetzung verlangt. Die nähere Ausgestaltung von „ausreichendem Interesse“ und „Rechtsverletzung“ ist dem innerstaatlichem Recht vorbehalten.

Nichtregierungsorganisationen („NGOs“), die sich für den Umweltschutz einsetzen und die nach innerstaatlichem Recht geltende Voraussetzungen erfüllen, wird von der Aarhus-Konvention ein „ausreichendes Interesse“ zuerkannt (Art. 9 Abs. 2).

Weiters sollen „Mitglieder der Öffentlichkeit“, sofern sie etwaige innerstaatliche Kriterien erfüllen, Zugang zu einem verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um den Verstoß gegen nationales Umweltrecht durch Privatpersonen oder Behörden anzufechten (Art. 9 Abs. 3).

Die Umsetzung der Aarhus Konvention erfolgte auf EU-Ebene durch verschiedene Richtlinien, die der Senior-Experte der Europäischen Kommission, GD Umwelt, Daniele Franzone vorstellte. Insbesondere ging er auf die Mitteilung der Europäischen Kommission vom 28.04.2017 näher ein und erörterte aufgrund konkreter Problemstellungen bei der Umsetzung der Aarhus Konvention Auslegungsfragen zum Zugang zu Gerichten.

Die Europäischen Kommission will nicht auf die Weiterentwicklung der EuGH-Rechtsprechung warten, sondern sieht in Form dieser Mitteilung den besten und wirksamsten Weg zur Lösung der Umsetzungsprobleme. Die Mitteilung beruht auf Bestimmungen des Unionsrechts, einschließlich der Charta der Grundrechte und der Rechtsprechung des EuGH. Sie behandelt die Frage, wie die Öffentlichkeit Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen von Behörden vor einem Gericht oder einer ähnlichen Stelle anfechten kann, sowie Klags- bzw. Rechtsmittelbefugnisse, die Intensität der rechtlichen Prüfung und einen wirksamen Rechtsschutz durch den nationalen Richter und sonstige Schutzmechanismen. Damit wird zur Klärung beigetragen, was auf nationaler Ebene getan werden muss, um diesen Anforderungen nachzukommen.

Um den Bürgerbeteiligungsbestimmungen der Aarhus-Konvention auch auf Ebene der EU-Mitgliedstaaten gerecht zu werden, wurden mit der RL 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme die Umweltverträglichkeitsprüfgungs-Richtinie – UVP-RL 2011/92/EU (Environmental Impact Assessment – EIA) und die RL 2008/1/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-RL) (Integrated Pollution Prevention and Control – IPPC) angepasst.

Erörtert wurde auch die Frage, ob eine direkte Anwendbarkeit der Aarhus Konvention möglich ist, wie dies der EuGH zuletzt im Vorabentscheidungsverfahren C-664/15 (“Protect”) vom 20.12.2017 “de facto” vorsah. Der EuGH argumentierte, dass aufgrund des Grundprinzips des Zugangs zu den Gerichten im Sinne des Art. 47 der EU-Grundrechtscharta dies erfordert, auch wenn unstrittig ist, dass die Aarhus Konvention nicht direkt anwendbar ist, sondern erst durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt warden muss.

Der VwGH (28.03.2018, Ra 2015/07/0055) hat aufgrund dieser EuGH Entscheidung eine Grundsatzentscheidung dazu getroffen, dass Umweltorganisationen (NGOs) Parteirechte im Sinne Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention iVm Art. 47 der Charta der Grundrechte zustehen und eine Präklusion im Sinne des § 42 AVG nicht entgegengehalten warden kann. Die Behörde hatte die Umweltorganisation in diesem Verfahren auch nicht als Partei beteiligt und über die Einwendemöglichkeit unter Hinweis auf die Präklusionsfolgen informiert.

Bisher wurde in diesem Sinne bereits vom EuGH (Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, Urteil 15.10.2015, C-137/14) festgehalten, dass Beschränkungen der Erhebung von Rechtsbehelfen in einem Verwaltungsverfahren nicht mit Art. 11 der UVP-RL und Art. 25 vereinbar ist.

Die Doktorandin von Prof. Geistlinger, Frau Julia Menguser, berichtete über ihre Untersuchungs- und Rechercheergebnisse zur Frage, ob die Aarhus Konvention direkt anwendbar ist. Zunächst gab sie einen Einblick in die Umsetzung der drei Säulen durch EU-Richtlinien, wobei nur Art. 9 Abs. 3 der Aarhus Konvention nicht durch eine EU-Richtlinie umgesetzt wurde. Sie kam zum Schluss, das eine direkte Anwendung nicht möglich ist, insbesondere da dies auch in Art. 3 der Konvention nicht vorgesehen ist, sondern vielmehr einer Umsetzung bedarf.

In diesem Zusammenhang wurde auch besprochen, dass nun eine Prozessföderungspflicht und die Aufforderung zur Geltendmachung aller der Partei bekannten Tatsachen und Beweismittel bis zu einem festgesetzten Termin mit der letzten Verwaltungsverfahrensnovelle in BGBl I. Nr. 57/2018  eingeführt wurde und abzuwarten bleibt, wie die praktische Handhabung erfolgt.

Einhellig begrüßt wurde der Gesetzesentwurf zum Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018 (61/ME) zur Umsetzung eines effektiven Rechtschutz im Umweltbereich auf bundesetzlicher Ebene (Abfallrecht, Luft- und Wasserqualität) im Sinne des Protect Erkenntnisses, der zur Zeit Begutachtung ist.

Der bereits im Begutachtungsverfahren viel kritisierte Gesetzesentwurf zu einem Standortentwicklungsgesetz – StEntG (67/ME), wurde als nicht verfassungs- und europarechtskonform beurteilt. Mit dieser Novelle soll die Bundesregierung die Möglichkeit haben, „einzelnen Vorhaben, die der Entwicklung bzw. der Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandortes Österreichs in außerordentlichem Maße dienen, das besondere öffentliche Interesse der Republik Österreich“ zu bestätigen, um daran besondere verfahrensbeschleunigende Maßnahmen knüpfen zu können.

Wenn ein solches Verfahren gemäß dem UVP-G 2000 nicht binnen der Frist von einem Jahr beendet wurde, ist das Ansuchen zu genehmigen und die Behörde gem. UVP-G 2000 hat ab Eintritt der Rechtsfolgen acht Wochen Zeit, den Genehmigungsbescheid auszufolgen (§ 11 Abs. 4 StEntG). Wenn die Behörde nicht fristgerecht entschieden hat, kann eine Säumnisbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben werden, das binnen drei Monaten zu entscheiden hat (§ 12 StEntG).

Weiter wurde Umsetzungsmängel hinsichtlich der Beteiligung der “betroffenen Öffentlichkeit” im Verwaltungsverfahren aufgezeigt, da nach der Entscheidung des EuGH im Vorabentscheidungsverfahren C-243/15 (“Slowakischer Braunbär I”) auch unter der Schwelle laut Anhang I der Aarhus Konvention diese Beteiligungsrechte gem. Art. 6 Abs. 1 lit. b Aarhus Konvention einzuräumen sind.

Auch sonst ist die Beteiligung von NGOs nur eingeschränkt vorgesehen, sodass die Aarhus Konvention nicht umfassend umgesetzt wurde. Fraglich ist auch, inwieweit Bürgerinitiativen Rechtsschutz im Umweltbereich zu gewährleisten ist, da dies eine Art der “betroffenen Öffentlichkeit” ist.

Anhand eines aktuellen Falles aus Deutschland wurde der Zugang zu Information eingehend in Gruppen erarbeitet: Das Bundesverwaltungsgericht entschied in der Rechtssache BVerwG 7 C 31.15 am 23.02.2018, dass das Zugangsbegehren einer Stadt bzgl. Informationen über Planfeststellungsabschnitte eines Verkehrsprojektes der Deutsche Bahn Netz Aktiengesellschaft (DB Netz AG) unter Berufung auf das Umweltinformationsgesetz (UIG) zu Recht bestand, da die Planung und Bau von Schienenwegen durch die DB Netz AG in der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Erbringung öffentlicher Dienstleistungen erfolgt und sich das Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Mehrheitseigentum der öffentlichen Hand in dieser Hinsicht nicht auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse berufen könne.

Holger Böhmann, Richter des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, präsentierte die wesentlichen EuGH Fälle über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten.

Auf der Grundlage der vorab eingeholten Einschätzungen der Teilnehmer aus mehreren EU-Staaten skizzierte gab Matthias Keller, Senatspräsident am Verwaltungsgericht Aachen, einen Überblick über die aktuelle Implementierung der Aarhus Konvention sowie über Umsetzungsprobleme und –defizite.

Anschließend wurde in Form eines Moot Courts  ein aktueller Fall aus Deutschland zur Frage der Fortschreibung oder Verschärfung des Luftreinhalteplans in einer Stadt verhandelt und entschieden: Hintergrund war die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Luftreinhalteplänen in Düsseldorf und Leipzig vom 27.02.2018 aufgrund von Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Das Bundesverwaltungsgericht hat bekanntlich die Verpflichtung der beiden Länder bestätigt, die Luftreinhaltepläne so zu ändern, dass der Stickstoffdioxidgehalt der Luft (NO2) im Stadtgebiet möglichst rasch gesenkt und die Grenzwerte eingehalten werden (Presseinformation des Bundesverwaltungsgerichts: Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart: Diesel-Verkehrsverbote ausnahmsweise möglich).

Zuletzt stellte Anders Bengtsson, Senior Richter des Land- und Umweltgerichts Växjö in Schweden, die Espoo Konvention über die Beteiligung betroffener Staaten und deren Öffentlichkeit an UVP-Verfahren in anderen Staaten für Vorhaben, die erhebliche grenzüberschreitende Auswirkungen haben können, vor. Die Konvention ist seit 10. September 1997 in Kraft und hat 40 Vertragspartner, unter anderem Österreich (BGBl. III Nr. 201/1997) und die EU. Umgesetzt wurde die Konvention mit § 10 UVP-G.

Weiterführende Links:

Rechtsinformationen der Europäische Kommission zur Aarhus Konvention, Umsetzung und Entscheidungen des EuGH …

Zu den nationalen Umsetzungsberichten der Aarhus Konvention 2017 …

Zum nationalen Umsetzungsbericht in Österreich (siehe v.a. Punkt XXVIII) ….

Mitteilung der Europäischen Kommission vom 28.04.2017 zum Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten …

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