Entsenderichtlinie: EuGH-Urteil zur Bindungswirkung ausländischer Bescheinigungen

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hatte in einem Vorabentscheidungsersuchen (Ro 2016/08/0013 vom 14.9.2016) an den Europäischen Gerichtshof u.a. angefragt, unter welchen Voraussetzungen  sogenannte A1-Bescheinigungen, welche bestätigen, dass nach Österreich entsendete Arbeitnehmer bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat sozialversichert sind, für österreichische Behörden und Gerichte Bindungswirkung entfalten.

Geltung bis Widerruf oder Ungültigkeitserklärung  der Bescheinigung

In seinem Urteil vom 06.09.2018, Rechtssache C-527/16 ( Alpenrind u. a.) stellt der Gerichtshof dazu fest, dass eine von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats (im vorliegenden Fall Ungarn) ausgestellte A1-Bescheinigung sowohl für die Sozialversicherungen als auch für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird (Österreich), verbindlich ist, solange sie von dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgestellt wurde (Ungarn), weder widerrufen noch für ungültig erklärt worden ist.

Dies gilt auch dann, wenn die zuständigen Behörden der beiden Mitgliedstaaten, wie im vorliegenden Fall, die Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit angerufen haben und diese zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Bescheinigung zu Unrecht ausgestellt wurde und widerrufen werden sollte.

Hinweis: Der Gerichtshof verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf sein Urteil vom 6. Februar 2018, Rechtssache C-359/16 (Altun u. a.), in dem er festgestellt hat, dass eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung nur  im Fall von Betrug oder Rechtsmissbrauch besteht. (Siehe dazu: EUGH sagt Scheinunternehmen den Kampf an).

Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass die Rolle der genannten Verwaltungskommission beschränkt ist und ihre Schlussfolgerungen (lediglich) den Stellenwert einer Stellungnahme haben.

Auch rückwirkende Wirksamkeit von Bescheinigungen

Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass eine A1-Bescheinigung Rückwirkung entfalten kann, auch wenn zum Zeitpunkt ihrer Ausstellung der zuständige Träger des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird (Österreich), bereits entschieden hatte, dass der betreffende Arbeitnehmer der Pflichtversicherung dieses Mitgliedstaats unterliegt.

„Austausch“ entsendeter Arbeitnehmer nicht zulässig 

Überdies kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass ein von einem Arbeitgeber zur  Ausführung einer Arbeit in einen anderen Mitgliedstaat entsandter Arbeitnehmer, der dort einen anderen, von einem anderen Arbeitgeber entsandten Arbeitnehmer ablöst, nicht weiterhin den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegen kann, in dem sein Arbeitgeber gewöhnlich tätig ist.

Siehe dazu auch: Zahnlose europäische Arbeitsbehörde

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