Nicht nur Polen: Die EU hat ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit (1)

„… ich stehe auf dem Standpunkt, dass souveräne Staaten – und Europa sollte ein Europa souveräner Staaten sein – das absolute Recht haben, ihr Gerichtswesen zu reformieren“ wird Polens neuer Premier Mateusz Morawieck   in den Medien zitiert. „Wir können nicht hinnehmen, dass die EU in Budgetfragen über jede Dezimalstelle intensiv diskutiert, aber schwere und systematische Verstöße von Mitgliedstaaten wie Polen gegen fundamentale Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte nicht anspricht“, erklärte dagegen der französische Präsident, Emmanuel Macron.

Jetzt hat die EU-Kommission gegen Polen  wegen der Unterminierung der Gewaltenteilung ein Grundrechtsverfahren eingeleitet. Die Entwicklung in Polen ist aber nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die die gesamte Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union in Frage stellen könnte.

Ungarn macht den Anfang

Der Beginn dieser Entwicklung kann mit den Justizreformen in Ungarn im Jahr 2013 festgemacht werden.  Trotz Warnungen seitens der EU hatte das ungarische Parlament die Kompetenz des Verfassungsgerichts zur Bedeutungslosigkeit zurückgestutzt. Dieses darf nun keine Gesetze mehr aus inhaltlichen Gründen beanstanden, sondern nur noch wegen verfahrenstechnischer Bedenken. Darüber hinaus dürfen sich Verfassungsrichter nicht mehr auf die eigene Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der derzeitigen Verfassung im Jänner 2012 berufen.

Auch welches Gericht für welche Verfahren zuständig ist, entscheidet nicht mehr ein unabhängiger Justiz-Apparat, sondern eine vom Ministerpräsidenten ernannte Leiterin des nationalen Justizamts.

Rumänien und Bulgarien: Persönliche Verfolgung und Medienkampagnen gegen Richter

Ebenfalls 2013 stellte die EU-Kommission in ihrem Fortschrittsberichtsbericht zu Rumänien fest, besondere Sorge bereite der Umstand, dass offensichtlich Druck auf Justizorgane ausgeübt und die Unabhängigkeit der Justiz nicht genügend respektiert werde. Es werde von Einschüchterungen von Personen berichtet, die in Schlüsselpositionen im Justizwesen und in Anti-Korruptionsbehörden tätig sind sowie von persönlichen Drohungen gegen Richter und ihre Familien und Medienkampagnen, die Mobbing gleichkämen.

Offenkundig ermutigt, dass es die verantwortlichen EU-Organe nur bei mahnenden Worten beließen, hat das Unterhaus des rumänischen Parlaments letzte Woche eine weitere umstrittene Justizreform  beschlossen. Staatsanwälte sollen künftig dem Justizminister unterordnet sein, die Kompetenzen der Antikorruptionsbehörde eingeschränkt und eine „Sonderstruktur“ für Ermittlungen gegen Richter und Staatsanwälte aufgebaut werden, die vor allem dazu dienen könnte, Druck auf unbequeme Justizbeamte auszuüben. Nunmehr wird jeder Richter für Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts persönlich haftbar gemacht, auch wenn er dabei nur leicht fahrlässig gehandelt hat.

Bulgarien: Blutige Lammschädel als Warnung

 In Bulgarien wird der Präsident des Obersten Kassationsgerichtshofes – dieser hat nicht nur in Österreich ein Gerichtsjahr absolviert, sondern war auch von 2008 bis 2010 als Experte in einem von Österreich geführten EU-Justizprojekt tätig – persönlich verfolgt.

Er hatte im Jahr 2015 öffentlich den Vorwurf erhoben, die Oligarchie nutze in Bulgarien die Medien und Justiz gezielt für ihre Zwecke. Bulgariens Richtervereinigung und Diplomaten aus EU-Ländern in Sofia stellten sich im Dezember 2015 hinter ihm.

Im Sommer 2017 hingen  wochenlang anonyme Plakate an Stromkästen und Lampenpfosten in der Sofioter Innenstadt, in denen der Gerichtspräsident persönlich angegriffen wurde. Vor dem Eingang des Obersten Justizrates – dem Selbstverwaltungsorgan der Justiz – in Sofia legten maskierte Männer sechs blutige Lammschädel ab. Es sollte eine Warnung an jene sechs Mitglieder im Justizrat sein, welche den Präsidenten unterstützen.

Im aktuellen Bericht der EU-Kommission heißt es dazu lapidar: „Der Gesetzgebungsprozess in Bulgarien hat kein vorhersehbares rechtliches Umfeld geschaffen.“

Dieses Bulgarien übernimmt im ersten Halbjahr 2018 erstmals die Ratspräsidentschaft der EU.

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