Beschwerden über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen sind in Wien pauschal Rechtspflegern zugewiesen. Das ist laut VfGH verfassungswidrig.
Wien. Wer darf über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen entscheiden? Müssen das Richter tun, oder können solche Beschwerdeverfahren pauschal Rechtspflegern überlassen werden? Damit befasste sich kürzlich der Verfassungsgerichtshof (VfGH). Und entschied, dass es verfassungswidrig ist, wenn diese Verfahren generell Rechtspflegern zugewiesen werden (G403/2015).
Anfechtung durch das Verwaltungsgericht
Konkret ging es um eine Bestimmung im Gesetz über das Verwaltungsgericht Wien, mit der eine ganze Reihe von Beschwerdeverfahren den „Landesrechtspflegerinnen und -rechtspflegern“ zur „eigenständigen Führung und Erledigung“ übertragen wird. Darunter eben auch Beschwerden über die Entziehung von Gewerbeberechtigungen.
Das Verwaltungsgericht hielt das für bedenklich und wandte sich deshalb an die Höchstrichter. Die Entziehung der Gewerbeberechtigung greife schwerwiegend in das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit bzw. auf Berufsfreiheit ein, argumentierte das Verwaltungsgericht, zudem seien „civil rights“ im Sinne der Menschenrechtskonvention betroffen. Es seien auch nicht alle Beschwerdeverfahren gleichförmig oder einfach gestaltet, vielmehr gehe es oft um anspruchsvolle Auslegungsfragen, die in Form von Wertungen und Gewichtungen beantwortet werden müssen. Rechtliche Überlegungen seien anzustellen, die mit jenen eines Verwaltungsstrafverfahrens vergleichbar seien, und es gebe auch mündliche Verhandlungen.
Nicht standardisierbar
Der VfGH gab dem Verwaltungsgericht Wien in diesen Punkten recht: In Verwaltungsgerichten müssen laut Verfassung Richter sitzen, heißt es sinngemäß in der Entscheidung. Nur die Besorgung einzelner, genau zu bezeichnender Arten von Geschäften dürfe an „besonders ausgebildete nicht richterliche Bedienstete“ – eben Rechtspfleger – übertragen werden. Es gelte also der Grundsatz, dass Richter zu entscheiden haben; die Übertragung an Rechtspfleger sei bloß der Ausnahmefall. Rechtspfleger sollen die Richter entlasten, heißt es weiter, und es sei auch möglich, ihnen bestimmte Verfahren zur Gänze zu übertragen – aber nur solche, die sich „ihrem Wesen nach“ dafür eignen.
Dazu verweist der VfGH auf eine frühere Entscheidung (G181/ 2014). Kriterien sind demnach ein geringer Schwierigkeitsgrad und ein hohes Maß an Standardisierbarkeit. Die Gründe für die Entziehung der Gewerbeberechtigung seien aber unterschiedlich, zum Teil müssten Wertungen, Gewichtungen und Prognosen im Hinblick auf das Verhalten des Betroffenen vorgenommen werden (z. B. hinsichtlich der Zuverlässigkeit). Im Rahmen von mündlichen Verhandlungen stellen sich auch Fragen der Beweiswürdigung.
Fazit: Pauschal alle diese Beschwerdeverfahren Rechtspflegern zuzuweisen sei unzulässig. Die Aufhebung ist jedoch noch nicht wirksam, sondern gilt erst ab Anfang Juli 2016.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 28.01.2016)
Siehe auch:
VfGH / Judikatur: Weitere Aufhebung von Rechtspflegerzuständigkeiten
VfGH Judikatur/ Verfahrensrecht: Keine Beschwerdemöglichkeit gegen Rechtspflegerentscheidungen
VfGH: Rechtspfleger dürfen Wohnbeihilfeverfahren führen
VfGH / Judikatur: Rechtspfleger dürfen über baupolizeiliche Aufträge entscheiden
Verfassungswidrig: Rechtspfleger zu mächtig
Konzept eines „Rechtspflegergerichts“ ist gescheitert