Verwaltungsgerichtsbarkeit in Polen: Gute Rahmenbedingungen – ambitionierte Richter

NSA
NSA – Die offizielle Kurzbezeichnung der Verwaltungsgerichte in Polen

Wer ein Beispiel dafür sucht, wie sich der EU- Beitritt eines Landes positiv auf die Entwicklung einer Region auswirkten kann, wird in vier Autostunden nördlich von Wien fündig. Die Region Katowice/Gliwice, aus den Geschichtsbüchern als Schlesien bekannt, hat ihren früheren Charakter als Zentrum der Kohle- und Schwerindustrie abgelegt und ist eine moderne und dynamische Region geworden.

Das ist auch am Verwaltungsgericht in Gliwice (Gleiwitz) zu erkennen, dem eine Delegation des Dachverbandes der Verwaltungsrichter einen (Gegen-) Besuch abstattete.

Verwaltungsgerichtsbarkeit seit 2004

So wie bei allen EU-Mitgliedsstaaten, die seit dem Jahr 2002 beigetreten sind, erfolgte auch in Polen die Einrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit als „Conditio sine qua non“ für den EU-Beitritt. Insgesamt 16 Verwaltungsgerichte, eines pro Region (Wojewodschaft) wurden in Polen eingerichtet. Das ist eine vergleichsweise geringe Zahl, wohnen doch alleine im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichtes Gliwice rund 5 Millionen Menschen.

Nur kassatorische Entscheidungsbefugnis

Dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Polen sind zwei behördliche Instanzen vorgelagert, das sind die lokalen Verwaltungen in den Provinzen und als behördliche Berufungsinstanz die regionalen Verwaltungen der 16 Wojewodschaften.

Die Überprüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte ist ausschließlich kassatorisch, Beweisaufnahmen durch den obligatorischen 3-Richtersenat gibt es nicht. Da diese reine Kassatorik zunehmend als unbefriedigend empfunden wurde, gibt es seit kurzem die Möglichkeit für das Verwaltungsgericht, als Verfahrensergänzung zumindest zusätzliche Dokumente von den Behörden anzufordern.

Es besteht zwar kein Anwaltszwang, allerdings sind die Verfahrenskosten mit ca. 500 polnischen Zloty (ca. 115 EUR) im Hinblick auf das Lohnniveau alles andere als gering.

Hohe Anforderungen für die Ernennung zum Verwaltungsrichter

NasÄhnlich wie etwa in Italien ist auch in Polen die Zahl der Verwaltungsrichter relativ gering. Von den rund 10.000 Richter und Staatsanwälten sind in Polen nur rund 550 Verwaltungsrichter. Davon sind 44 am Verwaltungsgericht in Gliwice tätig. Das oberste Verwaltungsgericht in Warschau hat 110 RichterInnen.

Die Ernennungsvoraussetzungen sind mit mindesten 10 Jahren Berufspraxis nach dem Studium und einem Mindestalter von 35 Jahren deutlich höher als bei den ordentlichen Gerichten. Aus diesem Grund rekrutieren sich die Verwaltungsgerichte auch vorrangig aus der Richterschaft der ordentlichen Gerichte, aus der Anwaltei oder den Notaren (dieser Beruf unterliegt in Polen keinerlei Beschränkungen).

Die Auswahl der Bewerber obliegt den Vollversammlungen der Verwaltungsgerichte, die meist ein Hearing durchführen. Diese erstellen einen Ernennungsvorschlag an den Obersten Richterrat, einem Selbstverwaltungsorgan der Justiz, in dem die gewählten Richter die Mehrheit haben. Die Entscheidung des Richterrates ist für die Regierung verbindlich.

50% Steuersachen

Rund die Hälfte der anfallenden Verfahren betreffen Steuerangelegenheiten, das sind sowohl direkte Steuern wie Einkommen- und Körperschaftssteuer als auch die Umsatzsteuer und die zahlreichen lokalen Abgaben und Gebühren. Die Zuständigkeit richtet sich ausschließlich nach dem Sitz der Behörde, die die Entscheidung erlassen hat, was dazu führt, dass eine Reihe von Zuständigkeiten beim Verwaltungsgericht in Warschau liegen, weil dort der Sitz verschiedener Zentralbehörden ist. Das betrifft insbesondere die Asyl- und Fremdensachen.

Von den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte wird ein relativ hoher Prozentsatz beim Obersten Verwaltungsgericht bekämpft, nämlich ca. 25%. Diese Beschwerden werden zu 80% abgewiesen.

Große Gastfreundschaft und interessantes Rahmenprogramm

Die Kolleginnen und Kollegen in Gliwice haben größtes Interesse an einem ständigen Meinungs- und Informationsaustausch mit KollegInnen aus Europa und waren äußerst gastfreundlich und entgegenkommend. Sie zeigten sich sichtbar stolz auf „ihr“ Gericht und die Entwicklung ihrer Region. Und das mit Grund, ist doch das Gericht in einem sehr repräsentativen, frisch renovierten Gebäude mit moderner Ausstattung untergebracht.

Als Rahmenprogramm erfolgte eine Einladung zu einem klassischen Konzert in die erst kürzlich eröffnete neue Konzerthalle in Katowice, sowohl von der Optik als auch der Akustik her, ein beeindruckendes Erlebnis.

Ein weiteres Highlight war der Besuch des ebenfalls neu öffneten Museums über die Geschichte Schlesiens, welches auf einem ehemaligen Bergwerksgeländer untergebracht ist, zum Teil unterirdisch.

Befragt, was die größten Probleme der Justiz in Polen sind, war die Antwort der Kolleginnen und Kollegen ziemlich einhellig: Der erwartete Sieg der Euroskeptiker bei den Parlamentswahlen letzten Sonntag.

Historischer Boden

Der inszenierte Überfall auf den „Reichssender Gleiwitz“ diente Adolf Hitler 1939 als Vorwand für den Überfall auf Polen. Dort befindet sich heute eine kleine Gedenkstätte.

Die neue Konzerthalle

Das neue Museum

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