Rechtsstaat auf italienisch – neapolitanische Impressionen (1)

Neapel präsentiert sich für Touristen, wie man es erwarten kann: laut und schmutzig aber auch lebendig und pittoresk. In der medialen Öffentlichkeit, in den Vorträgen und in den Gesprächen mit Richterkollegen steht aber ein Thema ganz im Vordergrund: Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität.

Bericht über eine Studienreise

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Justizpalast Neapel
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Studienreise 2015

„In der Nacht“, so der uns betreuende Kollege, Vorsitzender eines Geschworenensenates und Experte für Kapitalverbrechen, „in der Nacht sieht es hier aus wie in der Szenerie eines „Batman“-Filmes, es ist menschenleer und gefährlich“.

Er meint damit das in den 90er Jahren aus dem Boden gestampfte Business-Viertel („Centro Divezionale“) in dem sich auch der Justizpalast befindet, ein 20stöckiger, riesiger, schwarzer Koloss. Das Viertel hat keinen Anschluss an den öffentlichen Verkehr, die vor 10 Jahren erbaute U-Bahnstation ist nach wie vor nicht in Betrieb, den Justizpalast kann man mangels befahrbarer Straßen praktisch nur zu Fuß erreichen.

Und es sind Massen, die in diesem Gebäude täglich unterwegs sind, rund 6.500 Personen betreten das Gebäude täglich im Durchschnitt. „Es ist wie die Verwaltung einer Kleinstadt“, meint dazu der Präsident des Appellationsgerichtes bei der Begrüßung.

Unklare Kompetenzabgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichten

P1020533Wie sich in den Vorträgen am Corte d’Appello herausstellt, ist in Italien die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche zwischen Zivilgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit äußerst kompliziert, sehr umstritten und ändert sich laufend. Die Abgrenzung wird im Einzelnen als „confusing“ beschrieben, dass sich die Partei mitunter auch aussuchen können, bei welchem Gericht sie das Verfahren führen wollen, macht die Sache nicht übersichtlicher. Der Gesetzgeber ist wenig ambitioniert, hier klare Strukturen zu schaffen, die Anwälte freut es.

Jedenfalls prüfen die Verwaltungsgerichte die „legitimen Interessen“, was im Wesentlichen bedeutet: Sie dürfen lediglich die Ordnungsmäßigkeit eines Verwaltungsverfahrens überprüfen. Sie haben nur die Möglichkeit, den Verwaltungsakt zu beheben, nicht aber über etwaige Ansprüche zu entscheiden, die Behörden sind an die Rechtsansicht der Gerichte auch nicht gebunden. Die sogenannten „subjektiven Rechte“, wie z.B. Schadensersatzforderungen aus behördlichem Handeln, sind ausschließlich Sache der Zivilgerichte.

Annullierung von Wahlen und Verträgen als Verbrechensbekämpfung

P1020556Auf Grund der fortschreitenden Infiltration des Staates durch die Mafia wurden in den vergangenen Jahren zwei Maßnahmen beschlossen, welche die Gerichte vor schwierige Aufgaben stellen. So kann der Präfekt oder der Präsident einer Region das Ergebnis einer Wahl zum Stadtparlament annullieren und Neuwahlen ansetzen, wenn auf Grund von Untersuchungen der Staatsanwaltschaft ein konkreter Verdacht besteht, dass „Mafia“-Kandidaten in öffentliche Ämter gewählt worden sind. Die betreffenden Personen verlieren bei der nächsten Wahl ihr passives Wahlrecht.

Ebenso können Verträge, die zwischen Verwaltungsbehörden und privaten Unternehmen geschlossen wurden, annulliert werden, wenn Ermittlungen der Staatsanwaltschaft den Schluss zulassen, dass die betreffenden Unternehmen unter Mafiaeinfluss stehen. Der Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen ist nun wieder auf die Verwaltungs- und Zivilgerichte aufgeteilt: Die Verwaltungsgerichte überprüfen, ob die Annullierung der Wahlen oder der Verträgen zu Recht erfolgt ist, die Zulassung zu den (Neu)Wahlen selbst ist dagegen beim Zivilgericht einzuklagen, ebenso Schadensersatzforderungen aus der Annullierung der Verträge.

Da zwischen den gerichtlichen Entscheidungen keine Bindungswirkung besteht, sind unterschiedliche Entscheidungen vorprogrammiert. In dieser Problematik dürfte einer der Gründe dafür liegen, dass von außen die Rechtsprechung in Italien als chaotisch wahrgenommen wird.

tbc

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