Die Entscheidung von Verwaltungsgerichten über Beschwerden gegen verwaltungsbehördliche Bescheide ist kein staatliches Aufsichtsmittel gegenüber Selbstverwaltungseinrichtungen.
Die Gemeinde hat in Bezug auf eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes über eine Beschwerde gegen einen gemeindebehördlichen Bescheid im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde keine Revisionslegitimation, weil die Bestimmung des Art. 119a Abs. 9 zweiter Satz B-VG nach ihrem systematischen Zusammenhang nur die Revisionslegitimation der Gemeinde betreffend eine aufsichtsbehördliche Entscheidung beinhaltet.
Es erfolgte somit eine klare Trennung zwischen dem Verfahren zur Ausübung des Aufsichtsrechts über Gemeinden und dem Verfahren über Beschwerden gegen letztinstanzliche Gemeindebescheide in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde.
Da im vorliegenden Revisionsfall keine aufsichtsbehördliche Entscheidung Gegenstand des Verfahrens vor dem Landesverwaltungsgericht Vorarlberg war, sondern eine im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zu vollziehende Abgabensache, kann sich die revisionswerbende Stadt nicht auf die Revisionslegitimation des Art. 119a Abs. 9 zweiter Satz B-VG stützen.
Der Verfassung ist auch nicht zu entnehmen, dass die Gemeinde als Ausfluss der Selbstverwaltungseigenschaft schlechthin in allen Belangen des eigenen Wirkungsbereiches auf der Grundlage des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG das Recht der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes hätte. Diesfalls wäre nämlich die Normierung der Revisionslegitimation in Art. 119a Abs. 9 B-VG überflüssig, weil dann jede behauptete Verletzung im Recht auf Selbstverwaltung – daher auch eine solche durch aufsichtsbehördliche Entscheidungen – schon allein auf der Grundlage des Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG geltend gemacht werden könnte. Eine Berufung auf Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG aus dem allgemeinen Titel des Rechts auf Selbstverwaltung scheidet somit aus.
Mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 ist der Umfang des aufsichtsbehördlichen Verfahrens insofern deutlich verringert worden und das gegen letztinstanzliche Gemeindebescheide im eigenen Wirkungsbereich vorgesehene Vorstellungsverfahren entfallen. Dieses wurde durch das verwaltungsgerichtliche Verfahren ersetzt, in dem die Gemeindebehörde als belBeh Parteistellung hat (s § 18 VwGVG und – wie im Revisionsfall – für Abgabeverfahren § 265 Abs 5 BAO).
Die Revisionslegitimation der Gemeinde in Bezug auf eine Entscheidung eines VwG über eine Beschwerde gegen einen gemeindebehördlichen Bescheid im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde kann sich daher nicht auf Art 119a Abs 9 zweiter Satz B-VG stützen, weil diese Bestimmung nach ihrem systematischen Zusammenhang nur die Revisionslegitimation der Gemeinde betreffend eine aufsichtsbehördliche Entscheidung beinhaltet. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Zusammenhang zwischen dem ersten und dem zweiten Satz des Art 119a Abs 9 B-VG, wo die Parteistellung der Gemeinde im aufsichtsbehördlichen Verfahren und deren Beschwerdelegitimation an das VwG sowie daran anschließend die Parteistellung im Verfahren vor dem VwG und die Revisionslegitimation an den VwGH sowie die Beschwerdemöglichkeit an den VfGH normiert sind, sondern auch aus dem Gesamtkontext des Art 119a B-VG, welcher insgesamt das Aufsichtsrecht über die Gemeinde regelt.
Demgegenüber wurde das das Vorstellungsverfahren ersetzende Beschwerdeverfahren gegen gemeindebehördliche Entscheidungen nicht im Abschnitt A des 5. Hauptstücks des B-VG angesiedelt, sondern in den neuen Abschnitt A „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ des 7. Hauptstücks des B-VG integriert (vgl Art 132 Abs 6 B-VG). Es erfolgte somit eine klare Trennung zwischen dem Verfahren zur Ausübung des Aufsichtsrechts über Gemeinden und dem Verfahren über Beschwerden gegen letztinstanzliche Gemeindebescheide in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde. Auch daraus erhellt, dass sich Art 119a Abs 9 zweiter Satz B-VG nur auf aufsichtsbehördliche Entscheidungen bezieht.
VwGH Ro 2015/16/0001 vom 22.04.2015