EGMR stützt Recht von Anwälten auf Justizkritik

fachgruppe EuroparechtEin Anwalt darf öffentlich Justizkritik üben und ist dabei vor Strafverfolgung sicher, solange er nicht lügt, beleidigt oder irreführende, ins Blaue hinein geäußerte oder nicht zur Sache gehörende Bemerkungen macht.

Dies urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 23. April 2015 (Beschwerde Morice / France 29369/10).

Im Interview mit der Zeitung „Le Monde“ hatte der Beschwerdeführer, ein französischer Anwalt, unter anderem den vertrauensvollen Umgang einer französischen Untersuchungsrichterin mit der Staatsanwaltschaft von Djibouti als „völlig unvereinbar mit den Prinzipien der Unparteilichkeit und Fairness“ bezeichnet. Er war daraufhin zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Diffamierung öffentlicher Amtsträger verurteilt worden.


Die 5. Kammer des EGMR hatte zunächst 2013 die Beschwerde gegen das Urteil mit der Begründung abgewiesen, eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 10 und dem Recht auf Unparteilichkeit des Richters gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) liege nicht vor – als Rechtsanwalt sei der Beschwerdeführer vielmehr verpflichtet zum „guten Funktionieren der Justiz“ beizutragen. Dies, so die Große Kammer des EGMR nun, sei zwar ein legitimer Grund zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, jedoch könnten unter bestimmten Bedingungen auch Richter und Staatsanwälte mit Kritik konfrontiert werden.

Anwälte mit ihrer “zentrale Position in der Rechtspflege” und einer “Schlüsselrolle” als “Intermediäre zwischen Öffentlichkeit und Justiz” dürften im Rahmen konstruktiver Kritik die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Missstände in Justizsystemen lenken. Der CCBE war im Verfahren als Dritter i.S.v. Art. 36 Abs. 2 EMRK zugelassen worden.

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