Editorial ZUV 2012/4

„Eignet sich nicht als Vorbild“, „entspricht in entscheidenden Punkten nicht verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben“, „stellt ein Einfallstor für Einfluss der zu Kontrollierenden auf die Kontrollore dar“, „in der ordentlichen Gerichtbarkeit undenkbar“ oder schlicht „verfassungswidrig“!

Zu diesen drastischen Beurteilungen gelangen die Richtervereinigung und der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes in ihren Stellungnahmen zu einzelnen Bestimmungen eines vom Land Wien in Begutachtung gegebenen Gesetzesentwurfes zur Einrichtung des Landesverwaltungsgerichtes Wien.

Hält man sich die geplanten Regelungen vor Augen, überraschen diese Bewertungen jedoch nicht. Nach dem Entwurf soll nämlich dem künftigen Präsidium des Gerichts mit entsprechenden Regelungen maßgeblicher Einfluss auf die Verteilung der Geschäftsfälle eingeräumt werden. Ein rigides Revisions- und Berichtssystem mit Androhung disziplinärer Folgen erweckt den Eindruck, dass unter dem Vorwand von Effizienz und Verfahrensbeschleunigung die Möglichkeit geschaffen werden soll, massiven Druck auf die künftigen RichterInnen auszuüben. Die von der Bundesverfassung eingeräumte Möglichkeit, die Besorgung einzelner, genau zu bezeichnender Arten von Geschäften nicht richterlichen Bediensteten zu übertragen, will Wien zum Anlass nehmen, an das Gericht herangetragene Beschwerden in zentralen Bereichen des Landesrechts (Technik, Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Soziales, Sicherheit und Abgaben) vorerst RechtspflegerInnen zur eigenständigen Entscheidung zu überlassen, und erst in einem weiteren Rechtsgang den LandesverwaltungsrichterInnen zuzuweisen.

Die mit der Einrichtung von Landesverwaltungsgerichten für die Bürger angestrebte Vereinfachung des Zuganges zum Recht wird damit geradezu ins Gegenteil verkehrt. Die in Aussicht genommenen Regelungen über die Gerichtsorganisation und die Rechtsstellung der LandesverwaltungsrichterInnen bleiben zum Teil erheblich hinter den Standards zurück, wie sie derzeit für den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien gelten. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass mit einem derartigen Organisationsmodell eine unabhängige Kontrolle der Verwaltung zum Nachteil der Rechtssuchenden nur eingeschränkt ermöglicht werden soll.

Es bleibt zu hoffen, dass die dem Entwurf anhaftenden Mängel vor Beschlussfassung beseitigt werden und vielleicht schon zum Zeitpunkt des Erscheinens der vorliegenden Ausgabe der ZUV ein Gesetz vorliegt, das die Einrichtung eines der Verfassung entsprechenden Verwaltungsgerichtes regelt. Ansonsten bleibt nur das Resümee, zu dem die Standesvertretung der UVS-Mitglieder in ihrer Stellungnahme gelangt: „In Ansehung der aufgezeigten strukturellen Mängel des gegenständlichen Entwurfes, der in zentralen Punkten den verfassungsgesetzlichen Vorgaben nicht entspricht, lehnt die Standesvertretung der UVS-Mitglieder diesen Entwurf sowie insbesondere das diesem Entwurf zu Grunde liegende Konzept, die gerichtsförmige Überprüfung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen im Land Wien zu schwächen, kategorisch ab und bedauert zutiefst, dass das Land Wien die sich ihm bietende Gelegenheit, eine auf dem bewährten Modell des Unabhängigen Verwaltungssenats aufbauende, das richterliche Element noch stärkende Landesverwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten, mit dem vorliegenden Entwurf nicht genützt hat. Ein von einem solchen Geist inspiriertes Modell, getragen von einer motivierten Richterschaft, würde in der Lage sein, den gewaltigen Anforderungen, die durch die Fülle der dem Verwaltungsgericht zusätzlich übertragenen Aufgaben auf das Gericht mit 1.1.2014 zukommen, effizient und auf qualitativ hohem Niveau gerecht zu werden und dem Land Wien solcherart durch die Gewährleistung zügiger Verfahrensführung und hoher Rechtssicherheit einen Standortvorteil zu sichern. Der vorliegende Entwurf schafft dafür nicht die geeigneten Grundlagen.“

Allen unseren Leserinnen und Lesern wünsche ich einen guten Start ins neue Jahr und wie immer viel Freude und Informationsgewinn bei der Lektüre der vorliegenden Ausgabe der ZUV.

Arnold Zotter
(Chefredakteur)
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