Türkei-Rechte als „Jugendsünde“ der EU

Maria Berger

Einst räumte die Union im Überschwang türkischen Bürgern viele Rechte ein, nun will man sich nicht daran halten. Die EU sollte Farbe bekennen: Entweder man nimmt die Rechte zurück, oder man steht dazu.

von Stefan Brocza (Die Presse)

Maria Berger, Österreichs Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), hat im „Rechtspanorama“-Interview darauf hingewiesen, dass derzeit auffällig oft Fälle mit Bezug auf das EU-Türkei-Assoziierungsabkommen zur Entscheidung anstehen. Ein kurzer Blick ins Urteilsregister bestätigt den Eindruck der Richterin. Heuer wurden bereits sechs diesbezügliche Urteile gefällt, im gesamten Vorjahreszeitraum sieben und in den Jahren davor konstante drei bis vier Urteile pro Jahr.

Aufenthalt auch für Angehörige

Was umfasst nun dieser Schutz? Nicht weniger als ein implizites Aufenthaltsrecht für türkische Staatsbürger in den Mitgliedstaaten der EU. Darüber hinaus Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, Arbeitserlaubnis und in bestimmten Fällen auch Familiennachzug. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang auch noch die sogenannten „Stillhalteklauseln“, welche ebenfalls beschlossen wurden. Bereits 1970 vereinbarte man so, „keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des Dienstleistungsverkehrs“ vorzunehmen. 1980 fügte man die Bestimmung hinzu, dass „für Arbeitnehmer und deren Familienangehörige keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt“ beschlossen werden dürften. Im Klartext heißt das, dass türkische Staatsangehörige, die nach der 1980 geltenden Rechtslage arbeiten durften, dies auch heute uneingeschränkt im Gebiet der EU dürfen. Als Familienangehörige gelten dabei übrigens Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte (auch des Ehegatten!) in absteigender Linie, die unter 21 Jahre sind oder denen Unterhalt gewährt wird (Kinder, Adoptivkinder, Enkelkinder und Stiefkinder) sowie schließlich auch noch Verwandte (auch des Ehegatten!) in aufsteigender Linie, denen Unterhalt gewährt wird.

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