Der unbequeme Richter

Am Bundesgerichtshof geht es zu wie im Vatikan: Nichts soll nach draußen dringen. Der Bundesrichter Thomas Fischer hält sich nicht daran und macht sich mit klaren Ansichten über den Zustand des Rechtsstaats Feinde. Jetzt hat ihn der BGH-Präsident Klaus Tolksdorf fallen lassen. Wie ein fähiger Jurist fertiggemacht wird

Es ist kein Zufall, dass Thomas Fischer sich in diesen Tagen so heftig für die Widersprüche der menschlichen Natur interessiert: Zum Beispiel befremde ihn eine Gesellschaft, die ihre Kinder hemmungslos mit sexuellen Reizen überflute und sich gleichzeitig vorgenommen habe, »Kinderseelen zu retten« und sexuelle Übergriffe gegen Minderjährige »mit Stumpf und Stiel auszurotten«. Schon in den meisten Modejournalen finde sich »ein unverhülltes Kokettieren mit der Überwindung kindlicher Träume durch erwachsene Sexualität«, sagt Fischer in das vor ihm aufgebaute Mikrofon. Das sei unehrlich, widersprüchlich »und natürlich auch widerlich«.

Der 58 Jahre alte Fischer, Richter am Bundesgerichtshof, dem BGH, zählt zu den wichtigsten Strafjuristen im Lande, denn er verschafft sich weit über die Urteile seines Senats hinaus Gehör. In den Fachkreisen von Strafrechtlern ist er, seines Wissens und seiner Originalität wegen, eine Berühmtheit – was für einen Richter ungewöhnlich ist und beim BGH auch nicht jedem gefällt. Fischer ist als Mitglied eines Strafsenats hoher Repräsentant des Strafrechts, nimmt es aber nicht als gottgegeben hin. Er reflektiert und hinterfragt, bildet sich eine eigene Meinung und spricht sie aus, auch wenn das politisch unkorrekt daherkommt oder die Zuhörer ärgert.

Dass gerade Widersprüchlichkeit sich zu Fischers Lieblingsthema entwickelt hat, könnte auch daran liegen, dass er selbst Gegenstand einiger Ambivalenzen geworden ist: Fischer wehrt sich nämlich seit Mai 2011 vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe in einer Klage gegen eine vernichtende dienstliche Beurteilung durch seinen Vorgesetzten, den Präsidenten des Bundesgerichtshofs, Klaus Tolksdorf.

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