Durch zweier guter Zeugen Mund wird allerwegs die Wahrheit kund

(Mephisto in Goethes Faust I)[1]

Ein jüngeres Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes gibt dem Prüfungsmaßstab der freien Beweiswürdigung eine ungewöhnliche Bedeutung

Quelle: UVSaktuell 2009/01

1. Einleitung

Der Verwaltungsgerichtshof hat schon seit geraumer Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Bekanntgabe von im Ausland aufhältigen Zeugen die Meinung vertreten, die Behörden, so auch die Unabhängigen Verwaltungssenate, seien verpflichtet, im Rahmen des Beweisverfahrens zumindest schriftliche Stellungnahmen dieser Personen einzuholen, so es nicht gelänge, diese in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung stellig zu machen[2]. Unklar bleibt dabei, welche Beweiskraft einer solchen Erklärung zukommen würde. Welche Bedeutung etwa hat es für das Beweisverfahren, wenn in einem Verfahren nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz auf einer Baustelle arbeitend angetroffene Personen aus dem Ausland schriftlich erklären, sie hätten nicht für den Beschuldigten gearbeitet oder wenn eine im Ausland der Strafverfolgung nicht zugängliche Person schriftlich und in Übereinstimmung mit dem Beschuldigten erklärt, sie selbst habe als Lenker eines Fahrzeuges eine Verwaltungsübertretung begangen? Dass derartige, auf ihre inhaltliche Glaubwürdigkeit im unmittelbaren Eindruck nicht überprüfbare Schreiben keine Persilscheine im Verwaltungsstrafverfahren darstellen können, schien klar und machte auch die Bedachtnahme auf diese Rechtsprechung im Rahmen der den Unabhängigen Verwaltungssenaten zukommenden freien Beweiswürdigung bislang keine Probleme.

Eine jüngst ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes könnte dies aber in einem neuen, in ihren Auswirkungen noch nicht absehbaren Licht erscheinen lassen und neue Grenzen der vom Verwaltungsgerichtshof den Unabhängigen Verwaltungssenaten eingeräumten freien Beweiswürdigung erkennen lassen.

2. Der Sachverhalt

Dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.1.2009, Zl. 2006/17/0380, lag so die Wiedergabe in der Begründung dieses Erkenntnisses, folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Straferkenntnis wurde ein Zulassungsbesitzer eines PKW in vier Fällen schuldig erkannt, einem Auskunftsverlangen nach § 1a Wiener Parkometergesetz nicht entsprochen zu haben, weil die erteilten Auskünfte unrichtig gewesen seien. Es wurde über ihn Geldstrafen von je € 35,– (Ersatzfreiheitsstrafe von je 12 Stunden) verhängt und Kostenbeiträge in Höhe von je € 3,50 festgesetzt. Begründend wurde ausgeführt, ein Auskunftsersuchen der Behörde an den vom Beschuldigten genannten ausländischen Lenker sei von diesem zwar übernommen, nicht aber beantwortet worden. Der Beschuldigte habe die Existenz, nicht aber die Lenkereigenschaft der angegebenen Person glaubhaft gemacht. Die erteilten Lenkerauskünfte seien daher als unrichtig zu beurteilen.

Im Berufungsverfahren legte der Beschuldigte der belangten Behörde zweimal jeweils an ihn gerichtete handgeschriebene Briefe samt Originalkuvert und Übersetzung ins Deutsche vor. Im ersten (undatierten) Schreiben bestätigte dessen Verfasser, über die Feiertage mit dem Auto des Beschuldigten in Wien gefahren zu sein, erachtete die Strafen aber als zu hoch. Im zweiten Schreiben teilte der Verfasser mit, aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Wien kommen zu können, um „bei Gericht“ zu erscheinen. Er werde aber das Geld für die Strafen schicken.

Bei der mündlichen Verhandlung bestätigte die Lebensgefährtin des Beschuldigten im Wesentlichen dessen Angaben, wonach dem Schwager des Beschuldigten zu den im Straferkenntnis genannten Zeiten das Fahrzeug überlassen worden sei. Eine weitere Zeugin, welche aushilfsweise in der Galerie des Beschuldigten tätig war, bestätigte ebenfalls, dass dessen Schwager im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in Wien gewesen und wiederholt mit dem Fahrzeug des Beschuldigten gefahren sei. Sie gab an, über die konkreten Deliktszeitpunkte zwar nichts sagen zu können, aber die Gespräche aus Anlass der Strafverfügungen gehört zu haben.

Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien gab der Berufung keine Folge und bestätigte das angefochtene Straferkenntnis [3].

Begründend führte er aus, der Versuch, mit dem Schwager des Berufungswerbers Verbindung aufzunehmen, sei gescheitert. Dieser habe die Anfrage der Behörde erster Instanz nicht beantwortet, sei zwei Ladungen der belangten Behörde zur mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen und auch vom Berufungswerber nicht stellt gemacht worden. Damit habe die belangte Behörde alle tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten im Ermittlungsverfahren ausgeschöpft. Es sei die Obliegenheit des Berufungswerbers gewesen, in geeigneter Form das Vorliegen des von ihm behaupteten Sachverhaltes zu beweisen bzw. einen weiteren Entlastungsbeweis anzubieten. Dies sei dem Berufungswerber nicht gelungen. Er habe in der mündlichen Verhandlung unglaubwürdig gewirkt und sei erkennbar bemüht gewesen, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. Seine Aussagen hätten hinhaltend und ausweichend gewirkt und mehrfacher Ergänzung und Korrektur bedurft. Auch die Zeuginnen hätten im unmittelbaren Eindruck instruiert gewirkt und seien erkennbar bemüht gewesen, den Berufungswerber nicht zu belasten. Die vom Berufungswerber erstmals im Berufungsverfahren vorgelegten Schreiben seines Schwagers seien nicht geeignet, seine Rechtfertigung zu erhärten. Dem in der mündlichen Verhandlung unmittelbar gewonnenen Eindruck von der Unglaubwürdigkeit des Berufungswerbers sowie der in einem Naheverhältnis zu diesem stehenden Zeuginnen komme jedenfalls eine höhere Beweiskraft zu, als einer vom Berufungswerber vorgelegten schriftlichen Erklärung einer im Ausland lebenden Person, verlöre doch sonst der Grundsatz der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit des Berufungsverfahrens jeden Sinn. Bei einer zusammenfassenden Würdigung seien daher die dem Berufungswerber zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen als erwiesen anzusehen.

3. Das VwGH-Erkenntnis

Mit oben genannten Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof den Berufungsbescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung Verfahrensvorschriften auf und führte begründend aus, die belangte Behörde habe nach Einvernahme des Beschwerdeführers und zweier Zeuginnen sowie Einsichtnahme in zwei vom Beschwerdeführer vorgelegte Briefe als erwiesen angenommen, dass die Auskunft des Beschwerdeführers, wonach er zu den Deliktszeitpunkten sein Fahrzeug seinem Schwager überlassen habe, unrichtig gewesen sei. Sie habe ihre Beweiswürdigung ausschließlich auf die persönlichen Eindrücke des Verhandlungsleiters vom Auftreten des Beschwerdeführers und der beiden Zeuginnen bei der Verhandlung gestützt, ohne jedoch anzugeben, auf welche konkreten Wahrnehmungen sich diese gründeten. Die belangte Behörde habe sich mit den Aussagen der vernommenen Personen auch inhaltlich nicht auseinandergesetzt und keine allfälligen Widersprüchlichkeiten oder andere bemerkenswerte Umstände, aus denen auf unrichtige bzw. abgesprochene Aussagen geschlossen werden könnte, aufgezeigt. Es könne daher im Hinblick auf den Beschwerdefall nicht von einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung gesprochen werden, wenn sich die belangte Behörde vage auf einen der der Berufungsverhandlung „unmittelbar gewonnenen Eindruck“ beruft und diesem von vornherein eine höhere Beweiskraft zubilligt als anderen Beweismitteln. Darüber hinaus habe es die belangte Behörde gänzlich unterlassen, sich mit den beiden Schreiben beweiswürdigend auseinanderzusetzen, sodass die Beweiswürdigung auch in dieser Hinsicht fehlerhaft ist und der dem Verwaltungsgerichtshof allein zustehenden Schlüssigkeitsprüfung nicht standzuhalten vermöge.

4. Kritik

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG, welcher gemäß § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren Anwendung findet, hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht.

Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung normiert diese Bestimmung den Grundsatz der freien Beweiswürdigung[4].

Gemäß § 41 Abs. 1 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit er nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde oder wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3) und nicht § 38 Abs. 2 anwendbar ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4) oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2) zu überprüfen. Ist er der Ansicht, dass für die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des Bescheides in einem der Beschwerdepunkte oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung Gründe maßgebend sein könnten, die einer Partei bisher nicht bekanntgegeben wurden, so hat er die Parteien darüber zu hören und, wenn nötig, eine Vertagung zu verfügen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterliegt die Beweiswürdigung der Behörde nur insofern der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, als es sich um die Beurteilung handelt, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, also den Denkgesetzen und den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen[5] Es stellt gerade das Wesen der freien Beweiswürdigung dar, dass die von der Behörde getroffenen Feststellungen mit einigen Beweisergebnissen im Widerspruch stehen, die dann unbedenklich im Sinne der Schlüssigkeit ist, wenn sich die Behörde mit den widersprechenden Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat.[6] Für die Würdigung und Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und deren Aussagen ist der unmittelbare persönliche Eindruck von entscheidender Bedeutung.[7]

In einem Beschluss aus dem Jahr 1989[8] , hat sich der Oberste Gerichtshof eingehend mit der Frage der freien Beweiswürdigung auseinandergesetzt. Seine Erwägungen bezogen sich auf den vom Beschwerdeführer gegen die Beweiswürdigung des Untergerichts erhobenen Vorwurf, die Beurteilung eines Zeugen als „glaubwürdig“ könne für sich allein nicht als ausreichende Begründung dienen, weil nicht dargelegt wäre, warum die Tatrichter dieser Aussage Glauben geschenkt haben. Damit, so der OGH, verkennt der Beschwerdeführer das Wesen der freien Beweiswürdigung und den sich daraus ergebenden Umfang der Begründungspflicht des Gerichtes. Das Gericht sei keineswegs verpflichtet, sich bei der Würdigung der Aussage eines im Zuge der Hauptverhandlung von ihm persönlich vernommenen Zeugen mit allen im Verfahren hervorgekommenen, für und wider die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen sprechenden Umständen im einzelnen auseinanderzusetzen. Gerade die Unmöglichkeit, alle diese auch durch den unmittelbaren persönlichen Eindruck von einem Zeugen vermittelten, für die Einschätzung seiner Glaubwürdigkeit relevanten Umstände vollständig bewusst zu machen, nach ihrem Gewicht logisch gegeneinander abzuwägen und überhaupt in Worte zu fassen, hat dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung gegenüber den starren Regeln historischer Prozessordnungen zum Durchbruch verholfen.

Der Verwaltungsgerichtshof hingegen hält in seinem Erkenntnis vom 26.1.2009 die auf Grund des unmittelbar gewonnenen Eindrucks getroffenen Feststellungen des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien über die Glaubwürdigkeit des Berufungswerbers und der einvernommenen Zeugen für „vage“ und vermisst das Aufzeigen allfälliger Widersprüchlichkeiten oder „anderer bemerkenswerter Umstände“, aus denen auf unrichtige bzw. abgesprochene Aussagen geschlossen werden könnte.

Was wäre also zu tun? Wie sich aus der Wiedergabe der Zeugenaussagen ergibt, waren diese nicht widersprüchlich. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat ausgeführt, die Aussagen hätten hinhaltend und ausweichend gewirkt und hätten mehrfacher Ergänzungen und Korrektur bedurft. Den Vorwurf der Aktenwidrigkeit dieser Feststellungen erhebt der VwGH nicht. Andere „bemerkenswerte Umstände“ haben die Aussagen offenkundig nicht geboten und war dies nach der einfachen Lage des Sachverhalts wohl auch nicht zu erwarten. Dass der VwGH die Feststellung psychophysiologischer Aspekte der Unwahrheit in der Bescheidbegründung vermisst, ist ihm nicht zu unterstellen. Die Begründung des Berufungsbescheides bietet auch keinen Anlass für die Annahme, der Unabhängige Verwaltungssenat habe einem Beweismittel „von vornherein“ eine höhere Beweiskraft beigemessen als anderen. Dass sich der Unabhängige Verwaltungssenat Wien in seiner Entscheidung mit den vorgelegten Schreiben auseinander gesetzt und bei seiner, konkret auf den Fall bezogenen zusammenfassenden Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt ist, auf Grund der festgestellten unglaubwürdigen Aussagen in der mündlichen Verhandlung, seien die vom Berufungswerber vorgelegten Schreiben nicht geeignet, zu einem anderen Beweisergebnis zu gelangen, hat der Unabhängige Verwaltungssenat Wien unmissverständlich dargelegt. Welcher weiteren Feststellungen also notwendig und möglich gewesen wären, um für den Verwaltungsgerichtshof die Überprüfung der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung zu ermöglichen, lässt das Erkenntnis nicht erkennen.

4. Folgerung

Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den ihm zukommenden Prüfungsspielraum betreffend die Beweiswürdigung der Unabhängigen Verwaltungssenate zumindest extrem weit ausgelegt, ohne jedoch einen erkennbaren und nachvollziehbaren Prüfungsmaßstab darzulegen. Die Begründung für diese Entscheidung mag vielleicht darin gelegen haben, das der Verwaltungsgerichtshof nach Prüfung der Akten, insbesondere der Verhandlungsprotokolle und der vorgelegten Schreiben, zu der Ansicht gelangte, er selbst wäre möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gekommen. Aber genau darum geht es bei der nachprüfenden Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof nach § 41 Abs. 1 VwGG nicht. Bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung so nicht Eingang in die ständige Spruchpraxis des Verwaltungsgerichtshofes findet, jedenfalls aber, dass in nachfolgenden Entscheidungen die dort vertretene Rechtsansicht in Bezug auf die freie Beweiswürdigung durch die Unabhängigen Verwaltungssenate sachlich und in nachvollziehbarer Weise ausgeführt wird.


[1]In Anlehnung an Johannes 8,17

[2] ZB VwGH vom 29.4.2004, 2001/09/0174

[3] UVS Wien vom 21.6.2006, Zln UVS-05/K/3/9685/2005 u.a.,

[4] Vgl Tiehnel, Verwaltungsverfahrensrecht4 (2006) 182f

[5] Vgl zB VwGH v. 25.9.2001, 97/14/0126, 28. 11. 2001, 2000/13/0145, u.v.A).

[6] VwGH v. 27.7.2001, 95/04/0285,

[7] VwGH v. 9.10.2006, 2003/09/0011

[8] 14Os7389 v. 21.6.1989



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