EGMR: Nichtvorlage an den EuGH muss begründet werden

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 16. Dezember 2025 im Fall Gondert gegen Deutschland (Nr. 34701/21) befasst sich mit der Frage, ob die Weigerung des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH), ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zu richten, gegen Art. 6 der EMRK verstößt. Da der BGH die Nichtvorlage nicht begründet hatte, sah der EGMR einen Verstoß gegeben.

Beim Ausgangsfall ging es um Rentenzahlungen eines Anwaltes, der 1949 geboren wurde. Der Beschwerdeführer forderte von der Rechtsanwaltskanzlei zu den drei gewährten Jahren zwei weitere Jahre Rentenzahlungen. Er argumentierte, dass das Pensionsschema von 2008 aufgrund des Alters diskriminierend sei, da andere Partner, die nach April 1950 geboren wurden, Anspruch auf zwei weitere Jahre Rentenzahlungen hätten.

Das Landgericht Frankfurt am Main gab der Klage zunächst statt; das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hob das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage des Beschwerdeführers ab; es lehnte die Zulassung der Revision ab.

Der Beschwerdeführer legte daraufhin Beschwerde beim BGH ein. Er argumentierte, dass die Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG durch das Oberlandesgericht fehlerhaft sei und von der Rechtsprechung des EuGH abweiche. Er beantragte erstmals im Verfahren, dass der BGH eine Vorabentscheidung des EuGH einholen solle, und formulierte vier Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG.

Der BGH wies die Beschwerde zurück und erklärte, dass keiner der gesetzlich vorgesehenen Gründe für die Zulassung einer Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) vorliege und dass er „auch die Frage einer Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV geprüft“ habe.

Der Beschwerdeführer wandte sich an den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, welcher darauf hinweist, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (CILFIT vom 6.10.82, C-283/81) ein letztinstanzliches Gericht von der Vorlagepflicht an den EuGH nur dann befreit ist, wenn die aufgeworfene Frage nicht entscheidungserheblich ist, die betreffende EU-Vorschrift bereits vom EuGH ausgelegt wurde oder die richtige Anwendung des EU-Rechts so offenkundig ist, dass kein vernünftiger Zweifel besteht. Andernfalls müssen letztinstanzliche nationale Gerichte den EuGH zur Auslegung von EU-Rechts anrufen.

Der EGMR stellte fest, dass die Konvention als solche kein Recht garantiert, einen Fall von einem nationalen Gericht an eine andere nationale oder internationale Behörde zur Vorabentscheidung zu verweisen. Die Weigerung eines nationalen Gerichts, eine Vorlage zu gewähren, kann jedoch unter bestimmten Umständen die Fairness des Verfahrens beeinträchtigen, wenn sich die Weigerung als willkürlich erweist.

Die Verpflichtung der nationalen Gerichte, ihre Urteile und Entscheidungen zu begründen, dient dazu, den Parteien das Verständnis der gerichtlichen Entscheidung zu ermöglichen und ist ein wichtiger Schutz gegen Willkür. Wenn ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH von einer Partei beantragt und von einem nationalen Gericht abgelehnt wurde, gegen dessen Entscheidungen kein Rechtsmittel nach nationalem Recht eingelegt werden kann, muss das Gericht die Ablehnung im Lichte der in der Rechtsprechung des EuGH zu CILFIT vorgesehenen Ausnahmen begründen.

Der EGMR erkannte an, dass hohe Fallzahlen die obersten Gerichte belasten und es eine Herausforderung darstellt, die Notwendigkeit der Beschleunigung von Verfahren, die Konzentration auf Kernfunktionen und die Begründung von Entscheidungen in Einklang zu bringen. Im Kontext einer Beschwerde gegen die Verweigerung der Zulassung einer Revision, die einen Antrag auf Vorlage an den EuGH enthält, muss eine Ablehnung jedoch zumindest die Kriterien nach der CILFIT Entscheidung angeben, nach denen die Vorlage nicht erforderlich ist.

Der BGH hatte zwar festgestellt, dass er geprüft habe, ob er verpflichtet sei, die Angelegenheit dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, hatte jedoch nicht die Gründe angegeben, warum er eine solche Vorlage für unnötig hielt. Er hatte nicht angegeben, ob er die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen für irrelevant hielt, ob die betreffende EU-Rechtsvorschrift bereits vom EuGH ausgelegt worden war oder ob die korrekte Anwendung des EU-Rechts so offensichtlich war, dass kein vernünftiger Zweifel bestand.

Der EGMR kam zu dem Schluss, dass der BGH keine Gründe für seine Weigerung angegeben hatte, Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, trotz des präzisen Antrags und der detaillierten Ausführungen des Beschwerdeführers in dieser Hinsicht. Infolgedessen wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit genommen zu verstehen, warum sein Antrag auf Vorlage abgelehnt wurde, was die Fairness des Verfahrens beeinträchtigte. Daher lag ein Verstoß gegen Art. 6 § 1 der Konvention vor.

Hier geht es zur Entscheidung des EGMR …

Hier geht es zum Bericht bei LTO …

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