Wie schlecht steht es um Österreichs Rechtsstaat?

In einem Interview der Wochenzeitung Die Zeit wurde Ex-Justizminister Clemens Jabloner zu Postenschacher und politischen Interventionen zugunsten der Mächtigen befragt. Er führte im Wesentlichen aus:

Seine Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes im Jahr 1993 während der rot-schwarzen Regierung unter SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky sei sicher eine politische Entscheidung gewesen. Ob sein Name auch auf einem Sideletter zur Koalitionsvereinbarung gestanden sei, wisse er nicht. Bei einer Postenbesetzung sei eine gewisse politische Komponente nicht zu vermeiden, die Teil des demokratischen Gesamtgefüges sei. Als Mitglied der Besetzungskommission aus Höchstrichtern, Experten und Vertretern des Bundeskanzleramts und Justizministeriums für die Auswahl der Nachfolge der Leitungsposition des BVwG wolle er dies nicht kommentieren. Aber er meinte:

Jabloner: Wie gesagt, ich möchte das nicht kommentieren. Grundsätzlich glaube ich, dass man bei den Besetzungen nicht naiv sein darf. Es gab immer einen politischen Einschlag – aber früher gab es doch andere Spielregeln.
ZEIT: Welche?
Jabloner: Man war großzügiger miteinander. Begabten Leuten stand der Weg in hohe Positionen offen, auch wenn sie nicht „richtig“ parteilich gebunden waren. Heute ist man da unerbittlicher.“

Zum Kreutner-Bericht und der Kritik an der „Zwei-Klassen-Justiz“ betonte Jabloner, dass grundsätzlich die rechtsstaatlichen Institutionen funktionieren. Bei der Zivilrechts- und Strafrechtsjustiz gebe es überhaupt keine Vorwürfe, nur im Bereich der Strafverfolgung, bei den Staatsanwaltschaften, gebe es Probleme bei clamorosen Fälle, sodass der Begriff der Zwei-Klassen-Justiz zutreffe. Das liege an den Strukturen, die dies ermöglichen. Bei den clamorosen Fällen liege ein Problem sicher darin, dass die Staatsanwaltschaft nicht unabhängig sei, sondern der/die Justizminister:in an der Spitze der Weisungskette stehe. Das könne – selbst wenn er/sie nicht eingreife – bereits den Anschein einer Befangenheit erwecken. Dieses System müsse geändert und eine Generalstaatsanwaltschaft als Senat eingeführt werden.

Wenn die Behörde an der Spitze unabhängig sei, dann könne kein Einfluss erfolgen und würden alle unabhängig von der Person unter gleichen Umständen strafrechtlich verfolgt. Von dem/der Justizminister:in oder von Ebenen darunter könne dann kein Einfluss ausübt werden. Auch wegen des Phänomens des vorauseilenden Gehorsams benötige es Spitzenbeamte, die Loyalität, Fachkunde und Rechtmäßigkeit verbinden können. Er reflektierte dazu:

„Das war immer die Tugend des österreichischen öffentlichen Dienstes. Aber es gab in den vergangenen Jahren große Rückschläge. Es wurde versucht, diese Leitlinien zugunsten einer parteipolitischen Durchdringung der Beamtenschaft zurückzudrängen, besonders nach dem Jahr 2018.“

Als er Justizminister geworden sei, sei vieles im Ministerium „dysfunktional“ gewesen und es habe dafür gesorgt werden müssen, dass der Betrieb grundsätzlich aufrechterhalten bleibe. „Es gab Pseudo-Leuchtturmprojekte wie die Deregulierung, während die Justiz drohte, einen stillen Tod zu sterben – dies wurde nun zum Glück abgewendet,“ resümierte er.

Die Kommunikation innerhalb der Staatsanwaltschaften sei zum Teil pseudo-amikal und informell abgelaufen und er habe Schritte gesetzt, um das zu formalisieren, etwa die Art, wie Niederschriften gemacht werden. Weisungen seien per se nicht problematisch, sie seien auch verfassungsrechtlich vorgesehen und können sogar notwendig sein, „sie müssen nur explizit, transparent und rechtmäßig sein“.

Bereits vor mehr als 20 Jahren habe er vor einer „Verblödung des Staates“ gewarnt, weil der Staat seine eigene Expertise zunehmend verliere und vieles nicht mehr selber könne und Aufgaben ausgelagert würden. Damit mache sich der Staat abhängig und dies sei auch sehr kostenintensiv. Die Generalsekretäre neuen Typs, die zwischen den Minister:innen und den Sektionsleiter:innen als mächtige Verwaltungsebene eingezogen worden seien, die politisch besetzt werde, müssten abgeschafft werden. Die Kabinette sollten begrenzt werden und Mitarbeiter:innen sollten nach dem Ende der Amtszeit des Ministers/der Ministerin nicht in Leitungsfunktionen des Ministerialapparat „gepresst“ werden.

Hier geht’s zum Interview in der der Zeit: Rechtsstaat in Österreich: „Der Minister kann gar nicht so viel machen“

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