Tätigkeitsbericht des VG Wien 2023 bestätigt weiteren Anstieg der Arbeitsbelastung

Das VGW hatte im Berichtszeitraum eine Erhöhung des Akteneinlaufs von insgesamt 15.990 auf 16.258 Verfahren zu verzeichnen, was zu einer Gesamtbelastung von 24.503 anhängigen Verfahren führte. 48,3% (7.860) der neu anhängigen Verfahren betrafen Strafverfahren und 51,7% (8.398) Administrativverfahren. Pro Richter bedeutete dies einen Zuwachs um 2,23% und damit einen weiteren Anstieg der Arbeitsbelastung im Vergleich zum Vorjahr. Der Stand der offenen Rechtssachen konnte am Ende des Berichtsjahres jedoch aufgrund des hohen Einsatzes von 8.245 auf 7.888 Rechtssachen reduziert werden.

Moniert wurde im Tätigkeitsbericht, dass nicht im ausreichenden Maße Amtssachverständige zur Verfügung stehen, insbesondere auf dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie, was sich zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit von Mindestsicherungsbezieher:innen sowie der Zurechnungsfähigkeit der Beschuldigten im Verwaltungsstrafen aber auch der Beurteilung der Zumutbarkeit des nach dem StbG und NAG geforderten Nachweis von Deutschkenntnissen nachteilig auswirkt. Ebenso ist dies bei der Beurteilung der gesundheitlichen Eignung im FSG problematisch. Die dadurch erforderliche Heranziehung von nichtamtlichen Sachverständigen belastet die Verfahrensparteien und erschwert – sofern die Kosten nicht vom Gerichtsbudget bzw. der öffentliche Hand getragen werden – damit den Rechtsschutz.

Erneut musste eine hohe Anzahl an Säumnisbeschwerden bearbeitet werden. Von den 593 Säumnisbeschwerden betrafen 88% den Bereich Einwanderungs- und Staatsbürgerschaft und wurden die verfahrenseinleitenden Anträge bereits vor Jahren bei der Behörde (MA 35) eingebracht, die über Monate keine Verfahrensschritte setzte.

Personal

Das VGW verfügte im Berichtszeitraum über insgesamt 91 richterliche Dienstposten. Trotz der Ernennung von 13 Richter:innen mit 1. Juli 2022 und von weiteren zwei Richter:innen mit 1. Jänner 2023 ist die Zahl der Vollzeitäquivalente noch unter den Stand der Jahre 2019 bis 2022 (2019 und 2020: 83; 2021: 80,7; 2022: 81,83; 2023: 79,85) gesunken, weshalb der Output des Gerichtes nur durch die außergewöhnliche Leistungsbereitschaft der Gerichtsbediensteten auf dem hohen Niveau gehalten werden konnte. Durch die schon absehbaren Pensionierungen der nächsten Jahre und die Elternkarenzen wird sich diese Situation auch in der nächsten Zeit nicht entspannen und muss dringend durch Aufnahme von Überhangsbesetzungen bereits jetzt Vorsorge getroffen werden.

Auch die Anzahl der Rechtspfleger:innen reduzierte sich von 20 aus 19 Dienstposten aufgrund einer Pensionierung und verringerte sich daher aufgrund von Langzeitkrankenständen und Pensionierungen auf 16,0 Vollzeitäquivalente. Im Vergleich zum Vorjahr sind jedoch die eigenständig von ihnen zu führenden Verfahren von 1.367 Verfahren auf 1.642 angestiegen.

Insgesamt zehn juristische Mitarbeiter:innen standen zur Verfügung, wovon drei juristische Mitarbeiter:innen im Überhang als Ausgleich für einen gesperrten Dienstposten für Rechtspfleger:innen, die anderen beiden zur Unterstützung von sechs richterlichen Überhangsposten eingesetzt worden sind. Zwei juristische Mitarbeiter der Evidenzstelle sind mit der Veröffentlichung von Entscheidungen des VGW sowie mit der Aufbereitung höchstgerichtlicher Entscheidungen für die Judizierenden betraut, die anderen unterstützen insgesamt 32 Richter:innen und vertiefen dabei ihre Kenntnisse.

Richterliche Unabhängigkeit

Vor dem Hintergrund der erneuten Kritik, dass die Empfehlungen der GRECO auch nach dem 2. Umsetzungsbericht vom 09.06.2023 nicht umgesetzt wurden und keine ausreichenden Fortschritte hinsichtlich der stärkeren Einbindung der Personalsenate bei der Auswahl und Kariereentwicklung von Richter:innen und (Vize-)Präsident:innen gegeben sind, weist das Gesetz über das Verwaltungsgericht Wien (VGWG) insoweit Handlungsbedarf auf, als § 3 VGWG nach dem Vorbild von § 32 Abs. 4a und 4b RStDG idF BGBl. I Nr. 205/2022 angepasst werden sollte, wo – wie bei Richter:innen – nun auch bei den „Spitzenfunktionen“ der Justiz eine möglichst objektive und transparente Besetzung vorgesehen ist. Auch für Spitzenfunktionen sind Dreiervorschläge und zwar durch ausschließlich von Richter:innen besetzte Kommissionen einzuholen. Art. 134 Abs. 2 B-VG steht einer vergleichbaren Regel für Besetzungsvorschläge für das Amt des/der (Vize-)Präsident:in für das VGW wie für den OGH nicht entgegen. Der Landesgesetzgeber ist in diesem Bereich auch nicht davon abhängig, dass zuvor der Bundesverfassungsgesetzgeber Änderungen beschließen müsste.

Auch die bereits im letzten Tätigkeitsbericht geäußerten Bedenken gegen die Amtsenthebung von Richter:innen ohne Ruhestandsversetzung, d.h. unter Entfall jeglicher Bezüge, als Folge zweier
negativer Dienstbeurteilungen (§ 15 Abs. 5 iVm. Abs. 4 Z 1 VGW-DRG), ist überschießend und unverhältnismäßig und widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz (Sachlichkeitsgebot), da eine Dienstbeurteilung nicht mit einem rechtswidrigen Handeln, das zu einer entsprechend gravierenden Disziplinarstrafe führt, verglichen werden kann. In diesem Zusammenhang wurde angeregt, das Intervall der Dienstbeurteilungen an § 51 RStDG anzupassen und das Dreijahresintervall auf eine anlassbezogene Beurteilung zu ändern.

Hingewiesen wurde auch darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit in einem Verfahren das Verwaltungsgericht Wien betreffend betonte. Es besteht demnach ein im Instanzenzug durchsetzbarer Anspruch des jeweiligen Richters/der jeweiligen Richterin auf Feststellung der Rechtswidrigkeit, wenn mit einer Weisung ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung erfolgt. Eine in diesem Bereich rechtswidrige Weisung kann dabei auch bei formloseren Versuchen einer unzulässigen Einflussnahme vorliegen (VwGH 05.12.2023, Ro 2022/12/0029).

Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des VGW

Im Vergleich zu 2022 (939) sind um 6,28% weniger Rechtsbehelfe erhoben worden und ergebe sich eine Anfechtungsquote von 5,88%. VfGH Beschwerden wurde nur gegen 2,02% der Erledigungen eingebracht, von denen 16% erfolgreich waren. Die Revisionsquote beträgt 3,86%. Bei 28,48% der Revisionen wurden die Entscheidung des VGW behoben, in 0,57% abgeändert. 24 Fristsetzungsanträge (32) wurden eingebracht. 41 Normkontrollverfahren wurden veranlasst.

Hier geht’s zum Tätigkeitsbericht des VGW für das Jahr 2023

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