Judikatur / EuGH – Sozialpolitik: Indexierung der Familienbeihilfe verstößt gegen EU-Recht

Seit 2019 passt Österreich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Kinder sich ständig in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhalten, die Familienbeihilfe sowie verschiedene steuerliche Vergünstigungen nach oben oder unten an – je nach Preisniveau des Landes.

Das Bundesfinanzgericht hatte im Jahr 2020 zur Frage, ob es EU-Recht widerspricht, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder von EU-Bürgern an das dortige Preisniveau anzupassen, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt. Anlassfall war die Beschwerde einer tschechischen Grenzpendlerin. Die Frau hat zwei Kinder, lebt mit ihrer Familie in Tschechien, arbeitet aber in Österreich. Aufgrund der im Jahr 2018 beschlossenen Indexierung hat das Finanzamt ihre Familienbeihilfe 2019 gekürzt. Dagegen war Beschwerde an das BFG erhoben worden.

Auch nach Auffassung der EU-Kommission verletzte die Indexierung der Familienbeihilfe den europäischen Gleichheitsgrundsatz. Der EuGH hat bereits 1986 Frankreich eine ähnliche Maßnahme untersagt. Die Kommission hatte aus diesem Grund ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet.

Anpassungsmechanismus ist mittelbare Diskriminierung

Nach Urteil in der Rechtssache C-328/20 verstößt Österreich mit der Indexierung der Familienbeihilfe sowohl gegen „die Verordnung über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union“ als auch die „Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“.
Der österreichische „Anpassungsmechanismus stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die jedenfalls nicht gerechtfertigt ist“, heißt es in der Aussendung nun ganz klar. Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag, die Gegenstand der Klage waren, stellen Familienleistungen „im Sinne der Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit“ dar.

Nur weil Berechtigte in einem anderen EU-Land leben, dürfen diese nicht „gekürzt oder geändert werden“. Im Gegenteil: „Die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat wohnen, müssen gemäß der Verordnung also exakt jenen entsprechen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.“ Preisniveau- und daraus folgende Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten rechtfertigen keine Leistungsunterschiede.

Der EuGH gab damit also der EU-Kommission recht, die die Indexierung als „diskriminierend und nach dem EU-Recht nicht zulässig“ bezeichnet hatte und folgte damit EuGH-Generalanwalt Richard de la Tour, der schon im Jänner auf die „Verletzung des Freizügigkeitsrechts“ hinwies.

„Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist selbstverständlich zur Kenntnis zu nehmen“, ließ Familienministerin Susanne Raab in einer ersten Stellungnahme nach dem Urteil die Öffentlichkeit wissen. Sie sagte darin aber auch: „Dessen ungeachtet bin ich weiterhin der Ansicht, dass eine Anpassung der Familienleistungen für Kinder, die im Ausland leben, an die dortigen Lebensumstände nur fair wäre. Der EuGH hat nun anders entschieden und das ist zu akzeptieren.“

Dazu den Beitrag in der Wiener Zeitung lesen …

Hier geht’s zur Pressemitteilung des EuGH …

Hier geht’s zum Urteil des EuGH C-328/20 vom 16.06.2022 …

Siehe dazu auch: Bundesfinanzgericht legt Kürzung der Familienbeihilfe dem EuGH vor …

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