Gefährden Corona-Regeln den offenen Justizbetrieb?

In einem Gastbeitrag auf LTO.de beschäftigt sich der Präsident des OLG Frankfurt mit der Praxis der Corona-Maßnahmen an deutschen Gerichten. Er erteilt der Forderung nach zu strengen Hürden eine Absage, da der ordentliche Gerichtsbetrieb dann nicht mehr aufrecht zu erhalten sei.

Hier der Beitrag in Auszügen:

Gerichte haben keine einheitlichen Corona-Regeln

Das gesellschaftliche Leben außerhalb der Gerichte unterliegt zunehmend wieder strengeren Anforderungen. Das führt auch in der Justiz zu Diskussionen. Sollte nicht auch der Gerichtsbetrieb unter 2G- oder 3G-Bedingungen gestellt werden? Dabei zeigt sich aktuell ein höchst heterogenes Bild in der deutschen Gerichtslandschaft. Es entspricht der allgemeinen  Aufgabenverteilung, dass die Gerichtsverwaltung Anordnungen für die Eingangsbereiche und die Verkehrsflächen trifft; im Sitzungssaal bestimmt dagegen der Vorsitzende über den Ablauf der Verhandlung einschließlich der einzuhaltenden Corona-Schutzmaßnahmen.

Die Bundesgerichte geben grundsätzlich einen 3G-Standard vor, wobei dieser am Bundesgerichtshof ausdrücklich unter den Vorbehalt abweichender sitzungspolizeilicher Anordnungen gestellt wird. Auch in den Instanzgerichten finden sich gerade in der jüngeren Zeit Beispiele für einen generellen 3G-Standard, so zum Beispiel beim OLG Celle und den Berliner Gerichten bis hin zum Amtsgericht Tiergarten. Andere Gerichte, so auch die ordentliche Gerichtsbarkeit in Hessen, haben bislang auf entsprechende Vorgaben verzichtet. Zum Teil werden 3G-Anordnungen (allein) im Rahmen der sitzungspolizeilichen Verantwortung des Vorsitzenden getroffen.

Strenge Vorgaben des BVerfG sind für die Justiz untauglich

Überraschend geht das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jetzt noch weiter und stellte sogenannte 2G++-Zugangsregeln für die Teilnahme an der Verhandlung am 14. Dezember über das Bayerische Verfassungsschutzgesetz auf. Konkret heißt dies, dass alle Prozessbeteiligten zusätzlich einen aktuellen PCR-Test vorlegen müssen. Den Beteiligten werden damit Kosten von rund 60 Euro und ein nicht unerheblicher organisatorischer Aufwand auferlegt. Die Medien sprechen insoweit von den strengsten Regeln der Republik.

Es erscheint selbstverständlich, dass sich das BVerfG diesen Schritt verfassungsrechtlich und organisatorisch gut überlegt hat. Schließlich hat das Gericht auch in anderen Zusammenhängen Entscheidungen über 2G- oder 3G-Anforderungen zu treffen. Möglicherweise spielt für die sehr streng anmutenden Anforderungen auch die konkrete Verfahrenssituation eine Rolle. Es darf eine lange Verhandlung in dem räumlich begrenzten Verhandlungssaal des BVerfG mit vielen Beteiligten erwartet werden.

Das BVerfG bietet für die Instanzgerichte eigentlich einen wichtigen Orientierungsrahmen. In dem Fall der Anforderungen an den Zutritt zum Gerichtssaal dürfte dies aber kaum gelten. Für den Rest der Justiz erscheinen die Vorgaben des BVerfG nicht tauglich.

Strenge Corona-Regeln verzögern Gerichtsverfahren

Der Betrieb der Amtsgerichte dürfte bei vergleichbaren Hürden nicht mehr aufrechtzuerhalten sein. Besonders hier kommt es aus der Sicht des Rechtsstaats darauf an, dass Strafverfahren gegen Angeklagte, Zivilverfahren gegen säumige Beklagte und Kindschaftssachen auch in Zeiten der Pandemie ohne Verzug durchgeführt werden.

Wie sollen die Verfahrensbeteiligten in diesen alltäglichen Verfahren dazu gebracht werden, den strengen Vorgaben, gegebenenfalls sogar noch auf eigene Kosten, zu entsprechen? Zudem scheinen Streitfälle mit Verfahrensbeteiligten vorprogrammiert, die die Voraussetzungen bewusst oder unbewusst missachten, um Verfahren zu verzögern. Eine zügige Verfahrensführung wäre unter 2G oder gar 2G++ kaum noch möglich; der verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährleistungsanspruch würde Schaden nehmen. Auch für den Rechtsanwalt, der in der Woche mehrfach vor Gericht auftritt, wäre es eine große Erschwernis, jedes Mal einen aktuellen PCR-Test vorlegen zu müssen.

Auch 3G-Regeln vor Gericht gefährden ordnungsgemäße Verfahren

Schon die immer häufiger anzutreffenden 3G-Anforderungen für den Gerichtsbetrieb sind unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten problematisch. Dies gilt bereits für die Rechtsgrundlage. Für eine allgemeine Vorgabe durch die Gerichtsverwaltung kommt allein das Hausrecht in Betracht. Die Verordnungen und Gesetze, die im Übrigen 2G- oder 3G-Anforderungen aufstellen, sparen die Gerichtsverhandlungen aus guten Gründen in der Regel aus. Ob allerdings das Hausrecht einen so weitgehenden Eingriff, der beispielsweise auch den in der Europäischen Menschenrechtskonvention vorgegebenen Öffentlichkeitsgrundsatz tangiert, rechtfertigen kann, erscheint zumindest fraglich.

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