Verfassungsjuristische Zweifel am Lockdown für Ungeimpfte

Verfassungsjurist Funk stellt aufgrund der schweren Überwachbarkeit infrage, ob ein wie in Oberösterreich geplanter Lockdown verhältnismäßig und verfassungskonform ist

Ab kommendem Montag werde es in Oberösterreich einen Lockdown für Ungeimpfte geben – so der Bund bis dahin die rechtlichen Voraussetzungen schaffe –, verkündete Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) am Donnerstag. Für den Verfassungsrechtsexperten Bernd-Christian Funk kommt das einem „Zurückspielen des Balles an den Bund“ gleich. Dieser habe für eine solche Maßnahme erst eine Verordnung zu schaffen, die vom Minister sowie im Hauptausschuss des Nationalrats abgesegnet werden müsse.

Auch, sagt Funk, stelle sich die Frage, ob ein Lockdown für Ungeimpfte verhältnismäßig und damit verfassungskonform sei. Hier habe er aufgrund der schweren Überwachbarkeit der Maßnahme seine Zweifel, denn um Verhältnismäßigkeit zu garantieren, müsse sichergestellt werden, dass sich der Bewegungsspielraum von Menschen ohne Immunisierung tatsächlich auf Wohnung, Arbeitsplatz und Spazierengehen beschränke.

Weniger verfassungsrechtliche Einwände würden laut dem Juristen gegen einen Lockdown für alle bestehen, mit einigermaßen überprüfbaren Regel für die Gesamtbevölkerung. Eine solche Maßnahme hatte Stelzer am Mittwoch noch ausgeschlossen. Ein „Lockdown für Geimpfte“, der dann auch Ungeimpfte umfassen würde, wäre „verfassungsrechtlich höchst problematisch“, meinte er.

Gründe eines Lockdowns für alle

Dieser Ansicht ist Funk nicht. „Wir müssen hier vielmehr auf die Fachleute aus der Virologie, Epidemiologie und Statistik hören“, sagt er im STANDARD-Gespräch. Würden besagte Wissenschafter einen Lockdown für alle als sachlich notwendig einschätzen, gebe es kein verfassungsrechtliches Problem.

Grund dafür sei Artikel fünf der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der das Recht auf Freiheit kodifiziert. Dort heißt es unter anderem: „Die Freiheit darf einem Menschen entzogen werden (…), wenn er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten bildet.“ In Österreich steht die EMRK in Verfassungsrang. Zwar, so der Verfassungsrechtsexperte, hätten hier die Verfasser und Verfasserinnen der EMRK wohl eher einzelne Menschen im Auge gehabt, die infektiös seien und daher isoliert werden müssten. Die Bestimmung sei jedoch auch in einer Lockdown-Situation anwendbar – wenn die Risikolage von Fachleuten entsprechend eingeschätzt werde.

Frage des Drittstichs

In der Corona-Pandemie geht dieses Risiko laut aktuellem Wissensstand auch von geimpften Personen aus. Mehrere Monate nach der ersten, aus zwei Teilimpfungen bestehenden Vollimmunisierung wird der Schutz vor einer Infektion – und damit auch vor ihrer Weitergabe – geringer. Ein Lockdown für schon länger Geimpfte wäre also verfassungsgemäß.

Wie aber ist das nach einem dritten Stich einzuschätzen, der laut Studien aus Israel, wo schon länger geboostet wird, den Infektions- und Virusweitergabeschutz bei den meisten Menschen wieder aufbaut? Eine Booster-Offensive hatte am Donnerstag SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner als Ausweg aus der vierten Welle vorgeschlagen. Menschen, die die Infektion nachgewiesenermaßen nicht weitergeben können, dürften keinen Ausgangsbeschränkungen unterworfen werden, sagt dazu Verfassungsjurist Funk.

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