Der Wert der Immunität – zur Bevorzugung von geimpften und genesenen Personen

Coronavirus

14 europäische Verbände der Luftfahrt- und Tourismusindustrie fordern, dass geimpfte Personen von Tests, Quarantänen und anderen Einschränkungen befreit werden sollten und fordern die Einführung von Corona-Immunitätsausweisen.  Impfgegner kritisierten dagegen die Vorteile, die der „Grüne Pass“ ermöglicht, als ungerecht und als illegitimes Druckmittel.

Die aktuellen Novellen des Epidemie- und COVID-19-Maßnahmengesetzes schaffen auch in Österreich die Voraussetzungen für die Einführung eines „Grünen Passes“ und sehen eine Befreiung von der Testpflicht für geimpfte – nicht aber genesene – Personen vor. Damit ist auch in Österreich die Debatte über den Wert der Immunität eröffnet.

Ein Überblick: 

In einem Beitrag im „Deutschlandfunk“ wird auf die Stellungnahme des deutschen Ethikrats von Februar 2021 verwiesen, der abriet, Personen, die bereits gegen Covid-19 geimpft sind, anders zu behandeln als Nicht-Geimpfte. Das gelte sowohl für Rechte als auch für Pflichten. Geimpften sollten demnach weder Sonderpflichten, etwa bei der Pandemiebekämpfung, auferlegt noch andere Rechte als Ungeimpften eingeräumt werden. Konkret bedeute das etwa, dass staatlich angeordnete Einschränkungen – wie Maskenpflicht und Abstandsregeln – weiterhin für alle gelten sollten.

Zur Begründung seiner Position nennt der Ethikrat zwei Punkte:

Gleichberechtigung: Solange noch nicht alle die Bürger die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen, würden Sonderregelungen für Geimpfte als Ungerechtigkeit empfunden. Das könnte die Solidarität und die Bereitschaft zur Regelbefolgung mindern und so die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung unterlaufen.

Ansteckung: Solange nicht klar sei, ob geimpfte Personen auch nicht mehr infektiös sind, müssten die Einschränkungen auch für sie weiterhin gelten. Ansonsten würde es trotz Impfkampagne zu weiteren Neuinfektionen kommen und eine falsche Sicherheit suggeriert.

Was sagen deutsche Verfassungsjuristen?

Aus der Sicht von deutschen Rechtswissenschaftlern ist die entscheidende Frage, ob von Geimpften weiterhin eine Gefahr ausgeht. Sei das nicht mehr der Fall, dann seien die Corona-Maßnahmen verfassungsrechtlich nicht mehr tragbar, sagte der Medizinrechtler Alexander Ehlers im Dlf. Die staatlichen Eingriffe seien zunächst nur deshalb verfassungsrechtlich zulässig gewesen, weil Leben und Gesundheit bedroht waren und die Maßnahmen ihre Berechtigung im Schutzgedanken hatten, so der Anwalt für Medizinrecht, Allgemeinmediziner und Direktor des Healtch Care Management Instituts an der EBS Universität in Wiesbaden.

So sieht das auch Stefan Huster, Professor für Verfassungsrecht an der Ruhr-Uni Bochum und Mitglied der Leopoldina: „Beschränkungen sind dann geboten und auch gerechtfertigt, wenn jemand ein Ansteckungsrisiko mit sich trägt, und wenn er das eben nicht tut, dann sind diese Beschränkungen eben nicht mehr gerechtfertigt. Das ist immer so im Infektionsschutzrecht“, sagte Huster im Dlf und verwies in diesem Zusammenhang auf Quarantäneregelungen: Nach dem Infektionsschutzrecht müssten nur Menschen in Quarantäne, „wenn sie ein besonderes Risiko darstellen. Wenn nicht, dann eben nicht“.

Das Argument der Gleichbehandlung, also dass einige noch gar keine Chance auf eine Impfung erhalten hätten, lässt Huster nicht gelten. Denn in infektionsschutzrechtlichen Zusammenhängen würden nicht danach unterschieden, ob jemand an seinem Ansteckungsrisiko in irgendeiner Weise schuld sei, ob er dafür Verantwortung trage oder ob er das hätte vermeiden können. „Wenn Sie zum Beispiel Kontakt hatten zu einem Virusträger, dann müssen Sie in Quarantäne. Ob Sie dafür etwas können, ob Sie das hätten vorhersehen können oder den Kontakt vermeiden, das ist dann völlig egal. Wichtig ist, Sie sollen die Ansteckung einfach nicht weitergeben“, so der Verfassungsrechtler.

Im Zusammenhang mit der Aufhebung von Grundrechtseinschränkungen können nach Ansicht von Huster jedoch weitere rechtliche Fragen entstehen, etwa ob Ungeimpfte am öffentlichen Verkehr teilnehmen dürfen. Zwar könne man überlebensnotwendige Dienstleistungen, wie die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, dem Einzelnen schlecht vorenthalten, bei anderen Verkehrsmittel sehe das jedoch anders aus – etwa im Flugverkehr. Hier gebe es bereits Bestimmung zur Gefahrenabwehr, wie etwa ein Waffenverbot. „Das Gleiche könnte der Fall sein, wenn man sagt, man müsste nachweisen können, dass von einem selber keine Ansteckung ausgehen kann“, führte Huster aus.

Ein rechtliches Argument, dessen sich dann auch andere Privatunternehmen bedienen könnten, etwa Betreiber von Hotels, Restaurants oder Fitnessstudios.

Die österreichische Sicht

In einem Gastkommentar im „Standard“ fordern der Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck und der Volkswirt David Stadelmann von der Universität Bayreuth, dass Immunitätszertifikate schnell implementiert werden müssen, damit sie ihre Freiheitswirkung noch entfalten können. Was im öffentlichen Diskurs gerne als ungerechtfertigte Bevorzugung angeprangert werde, sei verfassungsrechtlich betrachtet sogar ein Gebot: Der Gleichheitssatz gebietet, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Nichtimmune und Immune unterscheidet, dass die einen die Krankheit verbreiten können, die anderen eben nicht. Wenn die Restriktionen die Verbreitung der Krankheit verhindern sollen, was nütze es, beide gleich zu behandeln?

Der Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien , Ulrich Körtner vertritt dagegen – ebenfalls in Standard – die Auffassung, solange die Impfquoten noch zu gering sind und auch nicht geklärt ist, ob Geimpfte derart immunisiert sind, dass sie andere nicht mehr anstecken können, müssten sich Lockerungen auch für sie vorerst in Grenzen halten. Man könne ihnen zum Beispiel zumuten, weiterhin eine Maske im öffentlichen Raum zu tragen und Abstandsregeln einzuhalten. Verglichen mit der Gefahr, dass andernfalls die Bereitschaft der (noch) nicht Geimpften sinken könnte, weiterhin die geltenden Hygiene- und Abstandsregeln zu befolgen, seien solche geringfügigen Eingriffe in die persönliche Freiheit von Geimpften vertretbar. Grundsätzlich gelte aber: Je umfassender die vorrangigen Ziele der Impfstrategie erreicht werden, desto rascher müssen bestehende Freiheitsbeschränkungen aufgehoben werden.

Siehe dazu:  Diskussion um Sonderrechte für geimpfte und genesene Personen spitzt sich zu

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