Die Auslegung von Zuständigkeitsbestimmungen stellt die Verwaltungsgerichte und die Verfahrensbeteiligten immer wieder vor schwierige Herausforderungen. Der Verfassungsgerichtshof hat jetzt eine der Zuständigkeitsbestimmungen im Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip als verfassungswidrig aufgehoben.
Zuständigkeitsänderung durch Beschwerdevorlage
Im Beschwerdefall war der Beschwerdeführer mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien 2018 wegen einer Übertretung des AVRAG bestraft worden. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde einen Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist (und sohin verspätet) bei der Behörde eingebracht und von dieser dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegt. Die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers stellte einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und brachte diesen bei der Behörde ein.
Das Verwaltungsgericht Wien brachte dem Beschwerdeführer die Verspätung seiner Beschwerde zur Kenntnis. Nahezu zeitgleich teilte die Behörde dem Verwaltungsgericht Wien mit, dem Wiedereinsetzungsantrag sei stattgegeben worden.
Gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhob eine mitbeteiligte Partei Beschwerde. Das Verwaltungsgericht Wien gab dieser Beschwerde statt, behob den bewilligenden Bescheid und wies den vom Beschwerdeführer gestellten Wiedereinsetzungsantrag sowie die Beschwerde gegen das Straferkenntnis wies es als verspätet zurück.
Das Gericht stützte seine Entscheidung auf § 33 VwGVG, weil es sich um ein Verfahren über eine im VwGVG geregelte Beschwerde handle. Da zum Zeitpunkt der Antragstellung die Beschwerde bereits dem Verwaltungsgericht Wien vorgelegen worden war, sei zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag das Verwaltungsgericht und nicht die Behörde zuständig gewesen. Da für die Behörde keine Verständigungspflicht gegenüber den Parteien über die Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht bestehe, müsse ein Antragsteller erforschen, wo die Beschwerde anhängig sei.
Keine Erforschungspflicht des Antragstellers
Im seinem Erkenntnis G 178/2020 vom 6. Oktober 2020 stellt der Verfassungsgerichtshof dazu fest, die Bestimmung des § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG verfolge offenbar den Zweck, die Weiterleitung eines Wiedereinsetzungsantrages zwischen Behörde und Verwaltungsgericht zu vermeiden; dies dürfte der Vereinfachung von Verfahrensabläufen dienen. Dem stehe allerdings zum einen die auferlegte Erforschungspflicht und zum anderen das Risiko des Antragstellers gegenüber, den Wiedereinsetzungsantrag rechtzeitig bei der richtigen/zuständigen Stelle einzubringen. Für den Verfassungsgerichtshof sei keine sachliche Rechtfertigung für die damit verbunden nachteiligen Auswirkungen für den Antragsteller ersichtlich.
Der Gerichtshof hat daher in § 33 Abs. 3 erster Satz VwGVG die Wortfolge „bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht“ als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Bestimmung lautet nun ab 1. Juli 2021 wie folgt: Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen.