EU-Kommission: Polen setzt EuGH-Anordnung nicht um

Politisch gewählte „Kammer“ kann jeden Richter entlassen.

Im Streit um die polnischen Justizreformen gibt die EU-Kommission nicht nach. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde setzt Warschau eine einstweilige Verfügung des Europäischen Gerichtshofs zu den umstrittenen Disziplinarkammern nicht vollständig um. EU-Justizkommissar Didier Reynders habe daher in einem Brief an die polnische Regierung um Erklärung gebeten, sagte ein Sprecher am Montag.

Das höchste EU-Gericht hatte Anfang April entschieden, dass die Disziplinarkammer ihre Arbeit zunächst aussetzen müsse, weil sie möglicherweise nicht unabhängig sei. Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft die Einhaltung des gemeinsamen Rechts überwacht, hatte den EuGH zuvor in der Sache eingeschaltet.

Der Kommissionssprecher kritisierte, dass die Disziplinarkammer in einigen Fällen weiterarbeite, und die entsprechenden Paragrafen des nationalen Gesetzes weiter angewendet würden. Zudem sei nicht garantiert, dass die von Polen getroffenen Maßnahmen bis zum endgültigen EuGH-Urteil in Kraft blieben, da sie Gegenstand eines Urteils des polnischen Verfassungsgerichts seien.

Der Fall des Bezirksrichters Igor Tuleya

Müssen Richter, die für die Regierung unangenehme Entscheidungen fällen, im EU-Mitgliedsstaat Polen um ihre Immunität fürchten? Diese Frage ist Gegenstand eines Verfahrens vor der umstrittenen Disziplinarkammer. Dem Warschauer Bezirksrichter Tuleya wird von Staatsanwälten vorgeworfen, er habe seine Zuständigkeiten überschritten, als er vor drei Jahren (!) Medien zu einer Gerichtsanhörung zuließ. In dieser Anhörung ging es darum, ob die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei einer Parlamentsabstimmung im Jahr 2016 die Regeln gebrochen hatte.

Da in Polen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und -anwälte Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung genießen, die nur unter bestimmten Bedingungen aufgehoben werden kann, beantragte die Staatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität von Igor Tuleya. (Siehe dazu: Druck auf regierungskritische Richter steigt)

Internationaler Druck hatte Erfolg

Die Internationalen Richtervertretungen, darunter auch die Europäische Verwaltungsrichter-Vereinigung, hatten sich vehement gegen disziplinarrechtliche Verfolgung von Richtern wegen der von ihnen getroffenen Entscheidungen ausgesprochen.

Dieser Druck dürfte – zumindest vorläufig- Erfolg gehabt haben. Tuleya habe nach Ansicht der Kammer im Einklang mit dem Gesetz und im Rahmen seiner Kompetenzen gehandelt, sagte ein Gerichtssprecher gestern in Warschau.

Tuleya selbst war bei dem Verfahren nicht anwesend, da er die Rechtmäßigkeit der Disziplinarkammer nicht anerkennt.

Siehe dazu: Regierungskritischer Richter behält Immunität

Und: Polen muss Gesetz zur Disziplinierung von Richtern aussetzen

Hier geht’s zur Stellungnahme des betroffenen Richter auf Twitter …

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