Aus Anlass des aktuellen Berichtes der Weltbank über die sogenannten „Governance indicators“ beschäftigt sich die Analystin Agata Gostyńska-Jakubowska in einem Beitrag im englischen „Guardian“ mit dem Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union.
Sie kommt zu dem Schluss, dass der Rückgang der Achtung der Rechtsstaatlichkeit nicht nur in Ungarn und Polen zu beobachten ist, sondern es sich dabei um ein EU-weites Problem handelt, welches das Funktionieren der gesamten Gemeinschaft beeinträchtigen könnte.
Hier der Beitrag aus dem „Guardian“ (machine-translation):
Die Governance-Indikatoren der Weltbank zeigen eine Verschlechterung in Bulgarien, Frankreich, Italien und Griechenland.
Die Europäische Kommission hat zu Recht auf die Entwicklungen in Warschau und Budapest reagiert. Zu offenkundig sind die dortigen Entwicklungen, welche die liberale Demokratie untergraben. Die EU hat daraufhin das sogenannte Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet, das bisweilen als „Nuklearoption“ bezeichnet wird, da es letztlich dazu führen kann, dass einem Land sein Stimmrecht entzogen wird. Sie hat auch vor dem Europäischen Gerichtshof Gerichtsverfahren gegen die beiden Staaten angestrengt.
Es gibt jedoch zahlreiche Beweise aus anderen Mitgliedstaaten – ganz zu schweigen vom Brexit in Großbritannien, wo Boris Johnson mit den Gerichten auf Konfrontation geht –, dass Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit weiter verbreitet sind.
Der jährliche Rechtsstaatlichkeitsindex des Weltjustizprojekts und die weltweiten Governance-Indikatoren der Weltbank zeigen eine Verschlechterung in anderen EU-Ländern, darunter Bulgarien, Frankreich, Italien und Griechenland. In Griechenland hat die Verurteilung des Chefstatistikers des Landes, welcher der EU Wirtschaftsdaten mitteilte, die im Widerspruch zu Statistiken standen, die zuvor von Griechenland zur Irreführung internationaler Gläubiger verwendet wurden, das Justizsystem überschattet. In Italien dauern Gerichtsverfahren länger als fast überall in Europa, und viele Straftäter entgehen aufgrund der Verjährungsfrist der Bestrafung.
Institutionelle Schwäche und Unabhängigkeit der Justiz sind jedoch nicht die einzigen Aspekte der Rechtsstaatlichkeit, über die sich die EU Sorgen machen sollte. Die französischen Behörden reagierten auf Terroranschläge mit Gesetzen, die ihnen weitreichende Überwachungsbefugnisse mit geringer richterlicher Kontrolle einräumten, was die Grundrechte des Einzelnen gefährdete. Auch die Unabhängigkeit der Medien, die von entscheidender Bedeutung ist, um Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, wird zunehmend unter Druck gesetzt. Investigative Journalisten wurden 2017 in Malta und 2018 in der Slowakei ermordet, was politische Krisen in beiden Ländern auslöste.
Verstärke Einbeziehung der Zivilgesellschaft
Die EU sollte einen strukturierteren Ansatz verfolgen, um gegen sogenannte demokratische Rückschritte vorzugehen, als sie es bisher getan hat, und sie sollte sowohl Zuckerbrot als auch Peitschen einsetzen. Sie sollte zunächst ihre Überwachungsmethoden und ihr frühzeitiges Eingreifen verbessern. Wie Ian Bond und Agata Gostyńska-Jakubowska in einem neuen Bericht für das Zentrum für europäische Reformen (Demokratie und Rechtsstaatlichkeit: Scheiternde Partnerschaft?) meinen, sollte die Rechtsstaatlichkeit kein Problem im Osten und Westen sein: Alle Mitgliedstaaten sollten gleich behandelt werden. Ursula von der Leyen, Vorsitzende der Fachkommission, hat einen positiven Schritt in diese Richtung unternommen und einen jährlichen Bericht über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU vorgeschlagen.
Ein solcher Bericht muss aber auf transparenten und überprüfbaren Daten aus verschiedenen Quellen beruhen; es sollte nicht der Fall sein, dass Regierungen ihre eigenen Hausaufgaben bewerten. Die Kommission sollte verstärkt auf die Informationen der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, von internationalen Gruppen wie dem 47-Nation Europarat mit Sitz in Straßburg und von Organisationen der Zivilgesellschaft zurückgreifen, von denen einige einem starken Druck ihrer Regierungen ausgesetzt sind.
Wenn die Kommission Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit hat, sollte sie zunächst der Regierung des zuständigen Mitgliedstaats Gelegenheit geben, das Problem selbst anzugehen. Ein wirksames Frühwarnsystem würde es der Kommission ermöglichen, Regierungen davon zu überzeugen, problematische Rechtsvorschriften zu ändern, bevor sie Gesetz werden und es politisch viel schwieriger und sensibler ist, diese Entwicklung wieder umzukehren. Wenn jedoch ein Mitgliedstaat weiterhin gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt, sollte die Kommission nicht zögern, den Europäischen Gerichtshof um eine Vorabprüfung zu ersuchen, indem es das Land anweist, Rechtsvorschriften oder Aktivitäten auszusetzen, bis deren Vereinbarkeit mit dem EU-Recht und den Grundsätzen der EU geprüft ist.
Die Kommission sollte auch bereit sein, institutionelle Schwächen – wie Verzögerungen bei den Gerichten aufgrund eines Mangels an Richtern – anzugehen, die nicht immer auf böswillige Handlungen von Regierungen zurückzuführen sind. Im nächsten langfristigen Haushalt der EU, der sich auf die Jahre 2021 bis 2027 erstreckt, sollten beispielsweise mehr Mittel für die Ausbildung neuer Richter bereitgestellt werden. Die Staats- und Regierungschefs der EU sollten auch mehr Geld für die Förderung des Verständnisses der Öffentlichkeit für die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit aufwenden – ein stärkeres Bewusstsein für dieses Thema wird dazu beitragen, die Institutionen zu stärken.
Den gesamteuropäischen politischen Parteien wie der Europäischen Volkspartei (EVP) kommt ebenfalls eine Rolle zu, wenn es darum geht, sicherzustellen, dass ihre nationalen Mitgliedsparteien die Rechtsstaatlichkeit wahren. Gegen sie sollten Sanktionen verhängt werden, wenn sie nationale Parteien, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen, nicht ausschließen. Seit 10 Monaten, als die EVP die größte Fraktion im Europäischen Parlament ist, erklärte sie, sie werde sich mit dem Schicksal der ungarischen Regierungspartei Fidesz unter der Leitung des Ministerpräsidenten des Landes, Viktor Orbán, befassen, müsse aber noch etwas unternehmen.
Kritiker werfen der EU häufig vor, ein Elite-Projekt zu sein, das unwilligen Bevölkerungsgruppen aufgezwungen wird. Es besteht in der Tat ein zunehmendes Spannungsverhältnis zwischen dem, was demokratisch gewählte Regierungen in den einzelnen Mitgliedstaaten meinen, dass ihre Wähler dies wünschen, und dem, was ihre nationalen Gerichte und die EU-Organe ihnen ermöglichen werden. Die EU ist jedoch eine Rechtsgemeinschaft, in der jeder Mitgliedstaat die EU-Vorschriften anwendet, und vertraut darauf, dass andere dasselbe tun werden. Demokratische Rückschritte eines EU-Mitglieds untergraben dieses gegenseitige Vertrauen und gefährden das Funktionieren des Binnenmarkts und des grenzenlosen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Im Interesse von Millionen europäischer Bürger, die von diesen Maßnahmen profitieren, sollte die EU mehr tun, um die Anwendung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten sicherzustellen.
Hier der Beitrag in Original …
Siehe dazu auch: Polen, die EU und das Ende der Welt, wie wir sie kennen