Ungarn: Disziplinarverfahren gegen Richter wegen Einholung einer Vorabentscheidung

Nach Berichten des ungarischen Helsinki-Komitees hat der amtierende Präsident des Fővárosi Törvényszék (Regionalgericht der Hauptstadt Budapest) ein Disziplinarverfahren gegen einen Richter eingeleitet, welcher sich mit einem Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH gewendet hatte. Er habe damit die „Würde der Justiz“ verletzt.

Der Strafrichter am zentralen Bezirksgericht von Pest (PKKB) und Mitglied des nationalen Justizrats, Csaba Vasvári, hatte dem EuGH am 11. Juli 2019 u.a. zwei Fragenkomplexe zur Unabhängigkeit der ungarischen Justiz vorlegt: Eine Frage betraf die Ernennung von Gerichtspräsidenten, welche über weitreichende Befugnisse gegenüber den Richtern an ihren Gerichten verfügen, die zweite Frage betraf die Richtergehälter, deren Höhe die richterliche Unabhängigkeit gewährleisten soll. Der Richter wollte wissen, ob diese Regelungen im Einklang mit Art. 19 Abs. 1 EUV stehen.

Abschreckende Wirkung von Disziplinarverfahren

Der Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens macht geltend, Richter Vasvári habe, indem er irrelevante und unbegründete Fragen stellte, gegen das Gesetz über den Status und die Vergütung von Richtern verstoßen, wonach Richter verpflichtet sind, sich mit Würde zu verhalten und nichts zu tun, was die „Würde der Justiz“ beeinträchtigen kann.

Das Disziplinarverfahren kann vom Präsidenten nur eingeleitet werden, sein Antrag muss noch vom Dienstgericht geprüft werden. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass wegen der Mitgliedschaft des Richters Vasvári im nationalen Richterrat und der nur vagen Begründung des Antrags das Verfahren nicht einmal förmlich beginnen kann.

Nach Auffassung des ungarischen Helsinki-Komitees besteht aber die Gefahr, dass die Androhung von Disziplinarverfahren andere Richter im Ungarn davon abhalten könnte, Fragen zu sensiblen Themen wie der Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn an den EuGH zu stellen. Damit werde die praktische Funktionsweise der EU-Rechtsordnung gefährdet und seien negative Auswirkungen auf Menschen und Unternehmen in Ungarn und in anderen EU-Mitgliedstaaten zu befürchten

Das Helsinki-Komitee fordert die Europäische Kommission nachdrücklich auf, die Situation genau zu verfolgen und die notwendigen Schritte zur Wahrung der loyalen und wirksamen Anwendung der Verträge in Ungarn zu unternehmen.

Disziplinarverfahren auch in Polen

Über Twitter berichtet die polnische Richtervereinigung „IUSTITIA“, dass die – sehr umstrittene – Disziplinarkammer des Obersten Gerichtshofs eine Richterin für ein Urteil, das sie gefällt hatte, bestraft hat. Diese Entscheidung ist nicht mehr bekämpfbar.

Siehe dazu: IUSTITIA Polish Judges Association …

Hier den Bericht des ungarischen Helsinki-Komitees lesen …

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