Neue Fahrsicherheitssysteme: Das Autofahren wird gläsern

Ab dem Jahr 2020 müssen alle neu typisierten und ab 2024 alle neu zugelassenen Autos mit einer Vielzahl an Sicherheitssystemen wie Blackboxen, Tempoassistenten und Notbremssystemen ausgestattet sein. Grundlage für diese Neuregelungen ist die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16. April 2019 zur Typengenehmigung von Fahrzeugen.

Diese Neuerungen haben nicht nur Potential für die Unfallvermeidung, gemeinsam mit dem bereits bei allen Neuwagen bestehenden E-Call-System wird der Autofahrer damit tatsächlich gläsern. (Siehe dazu: Warnung vor dem „gläsernen“ Autofahrer)

Blackbox und Intelligenten Geschwindigkeitsassistenten (ISA)

Pflicht wird unter anderem eine Blackbox, wie man sie vom Flugzeug kennt. Die Geräte zur „ereignisbezogenen Datenerfassung“ sollen im Falle eines Unfalls genaue Aufzeichnungen zum Hergang machen. Gespeichert werden künftig Daten wie die Geschwindigkeit, ob und wie abgebremst wurde, die Position und Neigung des Fahrzeugs sowie der Zustand der Sicherheitssysteme an Bord. Die gesammelten Daten sollen dann anonymisiert für die Unfallforschung verwendet werden können.

In Zukunft muss jeder Neuwagen auch einen Intelligenten Geschwindigkeitsassistenten (ISA) eingebaut haben. Dieser scannt mittels Kameras Straßenschilder und greift über digitale Straßenkarten Tempolimits ab. Wer zu schnell unterwegs ist, soll laut dem Entwurf auf „gezielte, angemessene und wirksame“ Weise darauf aufmerksam gemacht werden, etwa durch visuelle und akustische Signale oder ein vibrierendes Gaspedal. Bereits jetzt verfügen die meisten Neuwagen über ähnliche Einrichtungen, welche aber noch über GPS-Signale laufen, d.h. nur aktiv sind, wenn das Navigationsgerät eingeschaltet ist.

Keine Zwangsbremsung

Eine Zwangsbremsung ist aber nicht vorgesehen: Die Signale können deaktiviert werden, und es kann auch weiter beschleunigt werden: „Die Möglichkeit des Fahrers, die vom System angeforderte Fahrzeuggeschwindigkeit zu überschreiten, darf nicht beeinträchtigt werden“, heißt es in dem Entwurf. Dass etwa ein Durchdrücken des Gaspedals notwendig sein dürfte, verneint Fritz Eppel vom ÖAMTC auf ORF.at-Anfrage. Aus jetziger Sicht reiche laut Interpretation der EU-Einigung „einfaches, normales Gasgeben“. Die genaue technische Ausgestaltung stehe aber noch aus – die Entwürfe würden bewusst offen formuliert.

In eine ähnliche Kerbe schlagen Fahrassistenten, die vor Müdigkeit, nachlassender Konzentration und Ablenkung warnen sollen. Sie dürften das Fahrverhalten analysieren und bei Auffälligkeiten Signale aussenden – auch hier sind die technischen Vorgaben noch offen. Auch ein mit Sensoren arbeitendes Spurhaltewarnsystem muss eingebaut werden, ebenso Rückfahrsensoren.

Für neu zugelassene Lkws und Busse kommen zudem Abbiegeassistenten. Diese waren in Österreich nach mehreren tödlichen Verkehrsunfällen mit Lkws vehement gefordert worden. Auch eine Vorrichtung zum Einbau einer alkoholempfindlichen Wegfahrsperre muss sich künftig in jedem Auto befinden.

Sensoren gegen Crashes

Ebenfalls Pflicht wird in Zukunft ein Notbremssystem, das via Sensoren mögliche Zusammenstöße selbstständig erkennt und das Abbremsen des Fahrzeugs veranlasst – für den ÖAMTC eines der „wichtigsten“ Bestandteile des Pakets. Die Notbremsassistenten sollen zweistufig eingeführt werden: In einem ersten Schritt soll das System nur andere Fahrzeuge und Hindernisse, in einem zweiten auch Fußgänger und Radfahrer erkennen. Dass es zu gefürchteten Falschauslösungen komme, könne nie hundertprozentig ausgeschlossen werden, so der ÖAMTC. Doch die Systeme würden bereits jetzt gut funktionieren, und man sehe ein großes Potenzial für die Vermeidung von Unfällen: „Wir begrüßen die Einführung sehr.“

„Datenkrake“ Auto

Das Paket zu den Hightech-Assistenten sorgte insgesamt für viel Lob, rief aber auch Bedenken hervor. Etwa dass die neuen Autos noch mehr zur Datenkrake werden, als sie ohnehin schon sind. Der deutsche Automobilclub ADAC bemängelte erst im Februar in einem Test, dass bisher nur die Fahrzeughersteller im Detail wissen, welche Daten in modernen Autos erzeugt, verarbeitet, gespeichert und gesendet werden, und dass Lenkerinnen und Lenker kaum etwas über die Nutzung ihrer Daten wissen. Gleichzeitig lassen sie genaue Rückschlüsse auf Fahrverhalten und Nutzung zu.

Und je mehr digitale Assistenzsysteme, desto mehr Datenfluss. Bedenken hat vor allem die Blackbox geweckt: Befürchtet wurde, dass sie bei Unfällen zum „Belastungszeugen“ werden könnte. Und tatsächlich sieht der Entwurf des EU-Parlaments vor, dass bei schweren Unfällen auch auf die Daten zugegriffen werden kann, um den Hergang zu klären. Diese sollen zwar anonymisiert und in einem eigenen, abgekoppelten System gespeichert werden. Bei Fahrzeugen, die nur von einer oder wenigen Personen genutzt werden, dürfte das aber wohl kaum einen Unterschied machen. Grundsätzlich sieht der Entwurf aber Datensparsamkeit vor, auch bei Assistenten, die das Fahrverhalten analysieren.

Zu viel Vertrauen in den Assistenten?

Dass sich Pkw-Lenker zu sehr auf die Vielzahl von Assistenten verlassen könnten, ist eine weitere Befürchtung. Das kanadische Forschungsinstitut iDAPT etwa wies warnend darauf hin, dass laut ihren Tests die Fähigkeit zum Spurhalten abgenommen habe, wenn ein Assistent aktiviert worden sei. Viele Autohersteller würden ihre Fahrassistenten so vermarkten, dass bei Lenkern mitunter der Eindruck entstehe, dass es sich um „selbstfahrende“ Systeme handle, so die Kritik.

Dass man die Achtsamkeit trotz der neuen technischen Hilfsmittel nicht schleifen lassen dürfe, betonte auch der ÖAMTC: „Es ist ein Assistent. Es unterstützt mich. Der Fahrer ist in der Verantwortung, aufmerksam zu sein.“ Die „reduzierte Arbeitsbelastung“ dürfte nicht dazu führen, dass während des Autofahrens andere Ablenkungen überhand nehmen. Und: Die Systeme seien deutlich und spürbar für Notfälle konzipiert – jede Auslösung sei „sehr, sehr unangenehm“.

Breite Mehrheit

Die neuen Regeln für Fahrsicherheitssysteme wurden vom EU-Parlament mit einer großen Mehrheit durchgewunken. Von den österreichischen Abgeordneten stimmten alle Mandatare für das Paket, nur die FPÖ enthielt sich. Der EU-Abgeordnete Harald Vilimsky begründete die Maßnahme damit, dass man nicht mit allen in dem Paket enthaltenen Vorhaben einverstanden sei. Das sorgte zuletzt für Kritik, weil die FPÖ während der Debatte über Lkw-Abbiegeassistenten darauf verwiesen hatte, dass die Frage auf EU-Ebene geregelt werde.

Ziel des Pakets ist laut der EU, dass es keine Verkehrstoten mehr gibt. Mit den neuen Systemen will man bis 2038 rund 25.000 Verkehrstote und 140.000 schwere Verletzungen vermeiden. Die Behörde führt 90 Prozent aller Unfälle auf menschliches Versagen zurück. Der EU-Kommission zufolge zielen die neuen Vorschriften aber auch darauf ab, die Akzeptanz für neue Technologien und schließlich für vernetzte und automatisierte Fahrzeuge zu fördern. Die Verordnung muss nun noch vom Rat der Mitgliedsstaaten formell angenommen werden.

Hier den Beitrag auf orf.at lesen …

Siehe dazu auch: Weniger Unfälle durch autonomes Fahren …

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