In der Stellungnahme Nr. 17 (2014) beschäftigt sich der Beirat der europäischen Richter (CCJE) mit dem Spannungsfeld zwischen einer adäquaten Beurteilung von Richtern und deren Unabhängigkeit.
Als Grundregel gilt bei jeder individuellen Beurteilung von Richtern die umfassende Achtung der richterlichen Unabhängigkeit. Wirkt sich eine individuelle Beurteilung auf die Beförderung, das Gehalt oder den Ruhestand des Richters aus oder führt sie gar zu seiner Amtsenthebung, besteht die Gefahr, dass der beurteilte Richter nicht auf der Grundlage einer objektiven Auslegung des Sachverhalts und des Rechts Recht spricht, sondern in einer Weise vorgeht, um den Beurteilern zu gefallen. Somit ist die Beurteilung von Richtern durch Angehörige der Legislative oder Exekutive des Staates besonders problematisch.
Qualität vor Quantität
Aber selbst wenn die Beurteilung von anderen Richtern vorgenommen wird, kann die Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit nicht gänzlich von der Hand gewiesen werden. Die Unabhängigkeit setzt nicht nur voraus, vor ungebührlichem Einfluss von außen geschützt zu sein, sondern auch vor ungebührlichem Einfluss, der sich in bestimmten Situationen aus der Haltung anderer Richter ergeben kann, einschließlich der Präsidenten von Gerichten.
Der CCJE warnt ausdrücklich davor, die Beurteilungsergebnisse nur in Form von Punkten, Zahlen, Prozenten oder der Anzahl an ergangenen Entscheidungen auszudrücken. All diese Methoden können einen falschen Eindruck von Objektivität und Sicherheit entstehen lassen, wenn sie ohne weitere Erläuterung und Beurteilung angewandt werden.
Hier die Empfehlungen zur Bewertung der Arbeit von Richter (auszugsweise):
- Ziel einer jeden „formellen“ oder „informellen“ Beurteilung muss es sein, die Qualität der Arbeit der Richter und bei dieser Gelegenheit des Justizsystems insgesamt zu verbessern.
- Die Beurteilung ist auf objektive Kriterien zu stützen. Diese Kriterien sollten im Wesentlichen qualitative Indikatoren sein, können aber außerdem quantitative Indikatoren beinhalten. In allen Fällen müssen die verwendeten Indikatoren es den Beurteilern ermöglichen, alle Aspekte einer guten juristischen Leistung zu untersuchen.
Die Informationsquellen, auf die sich die Beurteilungen stützen, müssen ausreichend und zuverlässig sein, insbesondere wenn diese Informationen zu einer nachteiligen Beurteilung führen.
- Wichtig ist, dass das Verfahren der individuellen Beurteilungen in jeder Hinsicht fair abläuft. Die Richter sollten insbesondere ihre Meinung zum Prozess und den vorgeschlagenen Schlussfolgerungen einer Beurteilung äußern können. Sie müssen auch in der Lage sein, diese Beurteilung anzufechten, insbesondere dann, wenn diese die „zivilrechtlichen Ansprüche“ im Sinne des Artikels 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten berührt.
- Eine nachteilige Beurteilung sollte (mit Ausnahme außergewöhnlicher Umstände) nicht an sich zu einer Entlassung führen können. Dies sollte nur bei schwerwiegenden Verletzungen der gesetzlich vorgesehenen Disziplinarvorschriften oder Strafbestimmungen der Fall sein oder wenn der Beurteilungsprozess zur unvermeidlichen Schlussfolgerung führt, dass der Richter unfähig ist oder sich weigert, seine richterlichen Aufgaben in einem objektiv gesehen annehmbaren Mindestmaß wahrzunehmen. Diese Schlussfolgerungen müssen sich aus einem angemessenen Verfahren ergeben und auf zuverlässige Beweise gestützt sein.
- Die Verwendung individueller Beurteilungen zur Festsetzung des Gehalts und der Höhe des Ruhegehalts von Richters ist zu vermeiden, da der Prozess das Verhalten der Richter eindeutig beeinflussen und auch die richterliche Unabhängigkeit und die Interessen der Parteien beeinträchtigen kann.
- Die Grundsätze und Verfahren, die den Beurteilungen der Richter zugrunde liegen, müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Prozess und die Ergebnisse der individuellen Beurteilungen müssen grundsätzlich vertraulich sein, um die richterliche Unabhängigkeit zu gewährleisten und die Sicherheit der Richter zu wahren.