„Das Gesetz ändert sich. Das Gewissen nicht.“
Ausgehend von dem Zitat aus dem Verhörprotokoll mit Sophie Scholl ging Univ.-Prof. Stefan Hammer in seinem Vortrag der Frage nach, inwieweit es in einem demokratischen Rechtsstaat für Richter möglich sein kann, auf ihr persönliches Gewissen zurückzugreifen.
Dies vor dem Hintergrund, dass unter richterlicher Integrität jedenfalls absolute Gesetzestreue verstanden werden muss.
Da allerdings das kreative Moment bei der richterlichen Rechtsanwendung unvermeidlich ist, finden bei der Entscheidungsfindung zwangsläufig Wertungsmaßstäbe Anwendung, welche nicht durch positives Recht vorgegeben sind. Der Richter muss nach Auffassung des amerikanischen Rechtsphilosophen Ronald Dworkin dem positiven Rechtsbestand eine Interpretation angedeihen lassen, welche diesem die bestmögliche Rechtfertigung verleiht.
Hammer ging dazu auf das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes zur 3. Piste des Flughafens Wien ein.
Er stellte fest, das Gericht habe offenkundig den Versuch unternommen, seine Auslegung der anzuwendenden Bestimmung des Luftfahrtgesetzes auf eine Vielzahl von Normen aus unterschiedlichen Rechtsquellen zu stützen, um so aus dem Rechtsbestand Aussagen zum Stellenwert des Umweltschutzes zu gewinnen. Damit sei die Haltung des Richtersenates deutlich erkennbar, eine möglichst richtige Entscheidung zu treffen, wie dies integren Richterpersönlichkeiten entspreche. Gleichzeitig werde aber auch deutlich, wie schwer dieses Vorhaben im Einzelfall umgesetzt werden kann. Insofern bedeute die richterliche Rechtsanwendung eine Herkulesaufgabe, da ein Rechtssystem kein (geschlossenes) logisches System moralisch gerechtfertigter Prinzipien darstelle.
Gerade das aufhebende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes sei ein Beispiel dafür, dass das Rechtssystem in Bezug auf den Umweltschutz wertungsbezogen inkongruent ist, was zeige, dass sich ein richterliches Urteil immer nur asymptotisch der „richtigen Entscheidung“ annähern kann.
Hammer wies in diesem Zusammenhang auf eine Bestimmung der Schweizer Zivilprozessordnung hin, die vorsieht, dass bei Fehlen gesetzlicher Bestimmungen die Entscheidung im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt zu treffen ist, dass sie auch allgemein gültig sein kann.
Die Grenze der absoluten Gesetzestreue des Richters bildet aber der Katastrophenfall des zum horrenden Unrecht gewordenen Gesetzes. Diesem ist nach dem Rechtslehrer Gustav Radbruch der Rechtscharakter abzusprechen und damit die Gefolgschaft zu versagen.