EuGH sagt Scheinunternehmen den Kampf an

Entsenderichtlinie: Illegale Bescheinigungen sind für nationale Gerichte nun irrelevant.

Der Europäische Gerichtshof hat am Dienstag in einer Entscheidung klargestellt, dass nationale Gerichte künftig Sozialversicherungsbescheinigungen, die in einem anderen EU-Staat ausgestellt worden sind, nicht beachten müssen, wenn sie die Vermutung haben, dass diese illegal erlangt wurden.

Anlassfall war folgender: Ein belgisches Bauunternehmen ließ alle Arbeiten auf ihren Baustellen in Belgien von bulgarischen Subunternehmen durchführen, die ausschließlich bulgarische Arbeiter beschäftigten. Diese wurden nicht in Belgien, sondern günstiger in Bulgarien sozialversichert.

Das ist rechtlich nach der EU-Entsenderichtlinie grundsätzlich auch möglich, allerdings nur, wenn das entsendende Unternehmen im Sitzstaat tatsächlich eine nennenswerte Geschäftstätigkeit ausübt. Nur so kann nämlich vermieden werden, dass sich Unternehmen zum Schein in Staaten mit einem geringen sozialen Schutzniveau niederlassen, um von diesem Staat aus Arbeitnehmer in Staaten mit einem höheren Schutzniveau zu entsenden.

Im konkreten Fall fand das belgische Gericht heraus, dass das bulgarische Subunternehmen in Bulgarien gar nicht tätig war. Deshalb forderten die Richter die bulgarischen Behörden auf, die Bescheinigungen zu widerrufen. Das passierte jedoch nicht. Deshalb erklärte das Berufungsgericht in Antwerpen die Bescheinigungen selbst wegen Betruges für nichtig und verurteilte das belgische Unternehmen in einem Strafverfahren.

Behörden müssen reagieren

Zurecht, wie der EuGH nun bestätigte. Die Behörden der EU-Staaten könnten nicht einfach untätig bleiben, sondern müssten loyal zusammenarbeiten. Dazu zähle bei Verdachtsfällen auch die Prüfung, ob Sozialversicherungsbescheinigungen zu Recht ausgestellt wurden oder nicht. Geschehe dies nicht in angemessener Zeit, sei eine gerichtliche Prüfung im Aufnahmeland möglich. Dabei müssten allerdings Beschuldigte Gelegenheit erhalten, Betrugsvorwürfe zu entkräften.

Arbeitsrechtsexpertin Daniela Krömer begrüßt die neue EuGH-Entscheidung: „Damit hat sich die Möglichkeiten vergrößert, gegen Unternehmen vorzugehen, die sich in Ländern mit einem niedrigeren Sozialniveau nur zum Schein niederlassen, um Arbeitnehmer in Länder mit höherem Schutzniveau zu entsenden.“ An der grundlegenden Problematik des Kostenvorteils durch niedrige Sozialversicherungsabgaben ändert die EuGH-Entscheidung allerdings nichts: „Sofern es sich bei den entsendenden Unternehmen nicht um Scheinunternehmen handelt, ist es für den EuGH unproblematisch, dass die entsandten Arbeitnehmer einem niedrigeren Sozialniveau unterliegen.“

Ob der Gerichtshof bei seiner Linie bleibt, wird sich bald bei dem derzeit bei ihm anhängigen österreichischen Verfahren „Alpenrind“ zeigen. Anwältin Krömer: „Hintergrund ist ein Rechtsstreit, in dem die zuständige europäische Verwaltungskommission entschieden hat, dass ungarischen Arbeitnehmern zu Unrecht Bescheinigungen der ungarische Sozialversicherungsträgerausgestellt wurden. Die Arbeitnehmer hätten in Österreich sozialversichert werden müssen. Der ungarische Sozialversicherungsträger widerrief die Bescheinigungen aber nicht. Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass die österreichischen Behörden dennoch an die Bescheinigungen gebunden sind.“

Schon seit längerem ist die Entsenderichtlinie auf EU-Ebene ein Streitthema zwischen west- und osteuropäischen Staaten. Über eine Reform wird verhandelt, eine Einigung gibt es aber nicht. Im Oktober des Vorjahres verkündete die EU-Kommission einen Kompromiss, gegen den sich Polen, Ungarn, Litauen und Lettland aussprachen. Nun ist das EU-Parlament am Zug.

Zum Artikel in der Presse …

Zum Urteil des EuGH C-359/16 vom 06.02.2018 …

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