Bei NS-Wiederbetätigung hat der Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass der Missbrauch der Meinungsfreiheit mit Demokratie und Menschenrechten unvereinbar ist: vielleicht verallgemeinerbar; doch Vorsicht ist geboten.
Gerhard Strejcek, Die Presse
Versammlungsrecht und freie Meinungsäußerung zählen zu den Grundfesten westlicher Demokratien. Eingriffe ins Grund- und Menschenrecht auf friedliche Versammlung sind nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Rechte Dritter notwendig sind. Die Höchstgerichte prüfen die Frage, ob eine Untersagung oder Auflösung einer Versammlung gerechtfertigt war, streng und lassen auch zeitweise Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit nicht als Rechtfertigung zu. Deshalb kann die Blockade einer Autobahn erlaubt sein. Die Auflösung einer Versammlung, selbst einer spontan, unangemeldet abgehaltenen, muss das letzte Mittel bleiben; fremdes Eigentum ist allerdings rechtlich geschützt, etwa, wenn ohne Genehmigung eines Verfügungsberechtigten Privatgrund betreten wird und Schäden verursacht werden.
Wehrhafte Demokratie
Wirtschaftliche Rechtspositionen wie Erwerbs- und Eigentumsfreiheit scheinen aber gegenüber den „politischen“ Rechten in der Rechtsprechung schwächer eingestuft zu werden. Derzeit scheint jedoch ein anderes Problem der Abwägung im Vordergrund zu stehen: Wie soll der Staat grundrechtskonform mit Versammlungen und Meinungsäußerungen umgehen, welche womöglich den in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Verfassung verankerten Grundwerten selbst diametral widersprechen? Welche Möglichkeiten der wehrhaften Demokratie können rechtsstaatlich umgesetzt werden, wann schießt der Staat übers Ziel hinaus und betritt seinerseits ein rechtsstaatsfernes oder gar autokratisches Minenfeld?
Die Antwort muss differenziert ausfallen. Denn einerseits schmälert Art 16 EMRK das Recht der Staaten nicht, die politische Betätigung von Ausländern einzuschränken; andererseits ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) streng, wenn sich staatliche Maßnahmen gegen die freie Meinungsäußerung (auch fremder Manifestanten) richten.
Eindeutig sind die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs und des EGMR in all jenen Fällen, in welchen NS-Verbrechen geleugnet oder verharmlost werden oder die Wiedererrichtung des NS-Staates gefordert wird. Wiederbetätigung rechtfertigt nicht nur, Versammlungen zu untersagen. Sofern sich unverbesserliche NS-Autoren auf die Meinungsfreiheit stützen, verweigert ihnen der EGMR auch in der Regel den Rechtsschutz mit folgendem, womöglich verallgemeinerungsfähigen Argument: „Der Missbrauch der Meinungsfreiheit ist mit Demokratie und Menschenrechten unvereinbar und verletzt die Rechte anderer.“ Deshalb kommt eine Verletzung der Täter in ihren Grundrechten nicht in Betracht; also stuft der EGMR Beschwerden von NS-affinen Autoren oder Wehrsportveranstaltern, die wegen Wiederbetätigung und vergleichbarer Delikte verurteilt wurden, als unzulässig ein.
Gesetzesvorschlag mit Tücken
Im Streit um Werbetouren zum türkischen Referendum vom 16. April hat Innenminister Sobotka einen Entwurf zur Novelle des Versammlungsgesetzes vorgelegt: Mit Zustimmung der Bundesregierung soll der Innenminister im Einvernehmen mit dem Außenminister einem ausländischen Politiker die Teilnahme an einer Veranstaltung untersagen können, die nicht der Wahl zu einem inländischen Vertretungskörper dient, „wenn dies dem Schutz der in der EMRK liegenden Menschen- und Grundrechte dient“. Die Formulierung hat ihre Tücken, weil sie auch – etwas überschießend – auf nichtstaatliche Vertretungskörper anwendbar wäre. Auch die Ausnahme zugunsten heimischer NR-, LT- und GR-Wahlen könnte als Bumerang wirken und Versammlungen gegen diese unangreifbar machen.
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Gerhard Strejcek ist ao. Univ.-Prof. am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien.