In einer gemeinsamen Pressekonferenz hat letzte Woche in Brüssel die neu gegründete Plattform der Europäischen Richter ein Forderungsprogramm an die Türkei vorgestellt.
Davor wurden bei einem gemeinsamen Treffen die Abgeordneten der parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Situation der Richter und Staatsanwälte in der Türkei informiert.
In der Pressekonferenz – wie auch beim Treffen mit den Abgeordneten – wurde der Türkei zwar zugestanden, dass sich das Land nach dem gescheiterten Putsch in einer sehr schwierigen Lage befindet. Gleichzeitig wurde aber betont, dass der Druck auf die türkische Justiz nicht erst nach dem 15.07.2016 begonnen hat, sondern sich beginnend mit 2010 immer mehr aufgebaut hatte. Im Forderungsprogramm wurde die Türkei von den Richtervereinigungen aufgefordert, die Terrorgesetzgebung den europäischen Standards anzupassen. Die Anschuldigung, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, könne viel zu leichtfertig erhoben werden, auch sei das Gesetz in diesem Punkt viel zu weitreichend.
Eine weitere Forderung war, den Familien inhaftierter StaatsanwältInnen und RichterInnen die beschlagnahmten Vermögen zurückzugeben, für menschenrechtskonforme Haftbedingung zu sorgen und eine internationale Kommission zur Überprüfung von Foltervorwürfen einzusetzen.
Weiters wurde die Regierung aufgefordert, den Ausnahmezustand zu beenden und Garantien eines fairen Verfahrens wieder einzusetzen. Ebenso wurde gefordert, sofort alle Rechtsverletzungen von nicht-derogierbaren Grundrechten (wie sie Art. 15 ECHR vorsieht) zu beenden.
Zusammenfassend stellt sich die Situation der Justiz in der Türkei nach den Informationen der Richtervereinigungen derzeit wie folgt dar:
– Der Druck auf die Türkische Justiz begann nicht erst nach dem 15.7.2016, sondern zeichnete sich bereits in den letzten Jahren zusehends ab. Die nun getroffenen Maßnahmen stellen nur einen traurigen Höhepunkt der bisherigen Übergriffe auf die Unabhängigkeit der türkischen Justiz dar. Eine besondere Rolle spielte dabei der Türkische Justizrat (High Council of Judges and Prosecutors), welcher unter anderem für Versetzungen, Disziplinarmaßnahmen und Entlassungen von Richtern/Staatsanwälten zuständig ist. Die Wahl seiner Mitglieder im Jahr 2010 erfolgte nach den vorliegenden Informationen in einem korrekten Wahlprozess, dies trifft auf die Wahl der Mitglieder des Justizrates im Jahre 2014 nicht mehr zu.
– Das Wahlverhalten der einzelnen wahlberechtigten Richter/Staatsanwälte im Jahr 2014 war aller Wahrscheinlichkeit nach auch ausschlaggebend für die nunmehr stattfindende Verfolgung jener Richter und Staatsanwälte, welche damals nicht für die pro-Regierungs-Kandidaten des Justizrates gewählt hatten.
– Darüber wurde nach dem Putschversuch die Türkische Richtervereinigung „ YARSAV“, welche seit Jahren Mitglied der Europäischen Richtervereinigung und der Mitglied der Europäischen Verwaltungsrichtervereinigung ist, durch Gesetz aufgelöst. Eine Pro-Regierungs-Richtervereinigung war mit der Unterstützung von Regierung in den letzten Jahren bereits aufgebaut worden.
– Den Europäischen Richtervereinigungen wurde eine Vielzahl von Beschwerden und Meldungen von Richtern und Staatsanwälten im Wege ihrer Angehörigen oder ihrer anwaltlichen Vertreter übermittelt. Nach diesen Informationen wurden die Richter und Staatsanwälte in vielen Fällen tagelang, teilweise auch in Handschellen, in zu kleinen Räumen angehalten, mit nicht ausreichendem Zugang zu Essen, Schlafmöglichkeiten und medizinischer Versorgung. Die Erstbefragung fand in der Regel nach einer einheitlichen Frageliste statt, es erfolgten keine individualisierten Anschuldigungen oder Anklagen. Die einzige Begründung war oft: „Sie sind inhaftiert, weil Sie auf der Liste sind“.
– Gefragt wurde: „Gehen Ihre Kinder in FETÖ Schulen? Haben Sie ein Konto bei der … Bank? Haben Sie ein …. Kommunikationsmedium auf ihrem Handy? Welche Schule haben Sie abgeschlossen? Etc…
– Die Inhaftierungen (2146) – wie auch die Massenentlassungen (3390) – fanden im Wesentlichen auf der Grundlage von zwei Listen statt, auf denen die Namen der Richter und Staatsanwälte verzeichnet waren. Diese Listen wurden bereits vor dem versuchten Putsch erstellt, ein Umstand, für den es konkrete Beweise gibt.
– Es wird derzeit Druck auf Anwälte in der Türkei ausgeübt, inhaftierte Richter und Staatsanwälte nicht zu vertreten. Sollte sie dennoch ein Mandat übernehmen, besteht das Risiko, selbst inhaftiert werden. Dieses Risiko besteht auch für die noch in Amt befindlichen Richter und Staatsanwälte, wenn sie die Order der Regierung nicht befolgen.
– Neben den individuellen Berichten gibt es noch eine Vielzahl an im Internet veröffentlichten Berichten und Dokumenten.
– Das Komitee zur Verhinderung von Folter des Europarates (CPT) hat der Türkei bereits in der Zeit vom 28.08.- 06.09.2016 einen ad-hoc Besuch abgestattet. Der Bericht wird – sollte die Türkei einer Veröffentlichung zustimmen – erst im November veröffentlicht werden. Seitens der Türkei wurde auch der Besuch des UN-Sondergesandten gegen Folter von Oktober auf November verschoben. Ein bekannt gewordener Beschluss des türkischen Generaldirektorrates für Sicherheitsangelegenheiten an alle zentralen Polizeikommandos vom 26.8.2016 kündigt den Besuch des CPT an und weist darauf hin, dass Anhaltezentren wie Sporthallen und dergleichen aus diesem Grund nicht zu verwenden bzw. zu schließen seien. Ferner erfolgt die Anweisung, dass aufgrund des Besuchs des CPT die nationalen und internationalen Standards für eine Anhaltung zu befolgen seien und alle Anhaltezentren für den Besuch des CPT vorbereitet werden sollten.
– Neben der Verletzung der Grundsätze für ein faires Verfahren für die inhaftierten Richter und Staatsanwälte gibt es auch keinen Rechtsschutz gegen die Massenentlassungen für die betroffenen Richter und Staatsanwälten. Deren Entlassung erfolgte mittels Sammelentscheidung des Justizrates mit angehängten Namenslisten.
– Vor dem Türkischen Verfassungsgericht sind bereits zig-tausende Beschwerden anhängig, eine derartige Zahl wird ebenso vor dem EGMR erwartet.
– Der Inhalt des Memorandums des Kommissars des Europarats für Menschenrechte vom 7.10.2016
wird von der Plattform unterstützt.
Hier ist das Forderungsprogramm der Europäischen Vereinigungen vom 10.10.2016
Hier ist die Antwort des Europarates auf die Anfrage der AEAJ betreffend die Zwangsversetzungen von Richtern und Staatsanwälten vom 05.07.2016