Seit dem Jahr 2013 sind die deutschen Verwaltungsgerichte immer wieder mit Verfahren befasst, in denen – insbesondere im Schulbereich – die Frage zu lösen ist, in welchem Verhältnis die Freiheit der Religionsausübung zu den sonstigen Grundfreiheiten steht.
Hier ein kurzer Überblick über die bisherige Rechtsprechung:
Gemeinsamer Schwimmunterricht
Der deutsche Bundesverwaltungsgerichtshof hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Musliminnen ein gemeinsamer Schwimmunterricht mit Jungen trotz ihres Glaubens zumutbar ist. In einem Grundsatzurteil hat das Gericht dazu folgendes festgestellt: „Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter – einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung – konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind.“
Gesichtsverhüllender Schleier im Unterricht
Der Bayerischer Verwaltungsgerichtshof hatte sich erstmals im Jahr 2014 (Beschluss vom 22. April 2014 – 7 CS 13.2592) mit der Frage auseinander zusetzen, ob ein Verbot der Gesichtsverschleierung im Schulunterricht zulässig ist.
Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs stehen der beabsichtigten Ausübung der Glaubensfreiheit durch Tragen des Niqabs – dieser Schleier lässt nur einen schmalen Sehschlitz frei – während des Unterrichts Rechtsgüter von Verfassungsrang entgegen: Zwar werde die Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährt, jedoch werde sie beschränkt durch das staatliche Bestimmungsrecht im Schulwesen, dem ebenfalls Verfassungsrang zukomme. Die im Grundgesetz geschützte Freiheit, die Lebensführung an der Glaubensüberzeugung auszurichten, könne insoweit beschränkt werden, als religiös bedingte Verhaltensweisen die Durchführung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags in einer Weise behinderten, dass ihm der Staat nicht mehr oder nur unzureichend nachkommen könne.
In zulässiger Weise sei der Grundsatz offener Kommunikation der Unterrichtsgestaltung im Gegensatz zum einseitigen, monologen Vortrag der Lehrkraft zu Grunde gelegt worden. Die offene Kommunikation im Unterricht beruhe nicht nur auf dem gesprochenen Wort, sondern sei auch auf nonverbale Elemente, wie Mimik, Gestik und die übrige sog. Körpersprache angewiesen, die zum großen Teil unbewusst ausgedrückt und wahrgenommen werde. Fehlten diese Kommunikationselemente, sei die offene Kommunikation als schulisches Funktionserfordernis gestört. Bei gesichtsverhüllender Verschleierung einer Schülerin werde eine nonverbale Kommunikation im Wesentlichen unterbunden.
Daher ist das Verlangen, dass die Antragstellerin während der Teilnahme am Unterricht auf das Tragen eines gesichtsverhüllenden Schleiers verzichtet, mit dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit vereinbar. Die Entscheidung stellt aber auch klar, dass die Erwägungen zur Rechtfertigung des Verbots der Gesichtsverschleierung durch die pädagogisch gebotene offene Kommunikation im Schulunterricht nicht ohne weiteres auf Lehrveranstaltungen, die nicht auf einer derartigen offenen Kommunikation beruhen, etwa an Hochschulen, übertragen werden kann.
Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Osnabrück entschieden, das eine muslimische Frau ihren Gesichtsschleier ablegen muss, wenn sie den Unterricht an einem Abendgymnasium in Osnabrück besuchen will. Das Gericht lehnte damit einen Antrag der Frau auf vorläufigen Rechtsschutz ab.
Die 18-jährige deutsche Muslimin hatte dagegen geklagt, dass die Schule sie im April zunächst angenommen und die Zulassung später wieder zurückgezogen hatte, weil die Schülerin aus religiösen Gründen ihren Nikab im Unterricht nicht abnehmen wollte.
Rechtsausbildung nur ohne Kopftuch?
Das Referendariat ist eine zweijährige Ausbildung, die Jura-Absolventen in Deutschland machen müssen, wenn sie als Rechtsanwalt oder im Staatsdienst als Richter oder Staatsanwälte arbeiten wollen. Rechtsreferendare müssen mehrere Stationen absolvieren, darunter auch im Gericht.
Eine Jura-Studentin hat den Freistaat Bayern verklagt, weil sie wegen ihres Kopftuchs ihre Rechtsausbildung nur eingeschränkt machen darf. Das Augsburger Verwaltungsgericht hat ihr Recht gegeben. Die Augsburger Richter bemängelten, dass es für einen solchen Eingriff in die Religions- und Ausbildungsfreiheit keine gesetzliche Grundlage gebe. „Im Freistaat Bayern existiere kein formelles Gesetz, welches Rechtsreferendare zu einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichte“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts. „Insbesondere bei Grundrechten wie der Religionsfreiheit sei aber nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ein formelles Parlamentsgesetz erforderlich, um einen solchen Eingriff rechtfertigen zu können.“
Der Bayerische Justizminister kündigte Berufung an.
Siehe dazu auch: Debatte über Kopftuchverbot für Richterinnen