VwGH Judikatur/Verfahrensrecht: Verwaltungsgericht an rechtskräftige Strafverfügung gebunden

fachgruppe verfahrensrechtNach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an rechtskräftige Bestrafungen insofern gebunden, als damit die Tatsache der Handlungen oder Unterlassungen, derentwegen die Bestrafung erfolgte, feststeht. Von dieser Bindungswirkung sind auch Strafverfügungen erfasst (z.B. VwGH vom 17. Dezember 2007, Zl. 2007/03/0201).

Wie der Verwaltungsgerichtshof nun in einem Erkenntnis vom 24.09.2015, Ra 2015/02/0132, ausgesprochen hat, gilt das auch für die Bindung eines Verwaltungsgerichtes an eine rechtskräftige Strafverfügung einer Bezirkshauptmannschaft.

Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, er habe an einem näher bezeichneten Ort ein  Kraftfahrzeug auf einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt, obwohl er nicht im Besitz einer gültigen Lenkberechtigung gewesen sei. Er habe dadurch § 37 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 3 FSG verletzt. Wegen dieser Übertretung wurde über ihn gemäß § 37 Abs. 1 in Verbindung mit § 37 Abs. 4 Z 1 FSG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 730,– verhängt.

Begründend führte die Bezirkshauptmannschaft in diesem Straferkenntnis unter anderem aus, dass über den Mitbeteiligten mit Strafverfügung  wegen einer Übertretung des § 20 Abs. 2 StVO eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 110,– verhängt worden sei. Er sei demnach schuldig, als Lenker des im Spruch des Straferkenntnisses bezeichneten Kraftfahrzeuges die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 19 km/h überschritten zu haben. Diese Strafverfügung sei rechtskräftig. Auch rechtskräftige Strafverfügungen würden Bindungswirkung entfalten. Aufgrund der Rechtskraft der Strafverfügung sei davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte zum Tatzeitpunkt am Tatort das Kraftfahrzeug gelenkt habe.

Der Beschuldigte erhob dagegen Beschwerde, in der er ausschließlich geltend machte, dass er das Kraftfahrzeug nicht gelenkt habe, sondern die Fahrt von seinem Sohn durchgeführt worden sei.

Das Verwaltungsgericht führte eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschuldigte angehört sowie sein Sohn als Zeuge vernommen wurde, gab der Beschwerde des Beschuldigten Folge, hob das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft  auf und stellte das  Verwaltungsstrafverfahren ein.

Nach Ausführungen zur Beweiswürdigung führte das Verwaltungsgericht aus, im vorliegenden Verfahren gehe es um die Frage, ob der Beschuldigte trotz entzogener Lenkberechtigung einen Pkw gelenkt hat. Die Beantwortung dieser Frage hänge nicht davon ab, ober auch eine Geschwindigkeitsübertretung begangen hat. Die rechtskräftige Strafverfügung wegen einer am selben Ort und zur selben Zeit begangene Geschwindigkeitsübertretung sei daher keine rechtskräftige Entscheidung über eine Vorfrage, sodass keine Bindung an diese Strafverfügung bestehe. Im vorliegenden Strafverfahren sei daher selbständig zu beurteilen, ob der Beschuldigte den PKW gelenkt hat oder nicht.

Der Verwaltungsgerichtshof verwarf die Auffassung des Verwaltungsgerichtes und führte aus, wenn,  wie im hier vorliegenden Fall,  eine rechtskräftige Bestrafung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung vorliegt, sei die Behörde – im Beschwerdeverfahren das Verwaltungsgericht – jedenfalls in Ansehung des Umstands, dass der Betreffende die in der Strafverfügung genannte Tat begangen hat, gebunden.

Vor diesem Hintergrund sei der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes daher zugrunde zu legen, dass der Beschuldigte zur Tatzeit am Tatort ein Kraftfahrzeug gelenkt – und dabei die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten – hat. Das Beschwerdevorbringen des Beschuldigten, in dem er das Fehlen der Lenkberechtigung nicht bestritten, sondern lediglich vorgebracht hat, dass nicht er, sondern sein Sohn das Kraftfahrzeug gelenkt hätte, sei daher von vornherein nicht geeignet gewesen, die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung zu widerlegen.

Kritik:

Der nach dem Erkenntnis des VwGH Bindungswirkung entfaltenden Strafverfügung ging kein behördliches Ermittlungsverfahren betreffend die Lenkereigenschaft des Beschuldigten voraus. Vielmehr wurde offenkundig der Zulassungsbesitzer wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung zur Verantwortung gezogen. Es erscheint  nicht lebensfern, dass der Beschuldigte die Strafverfügung  bezüglich der, durch seinen Sohn gesetzten  Geschwindigkeitsüberschreitung der Einfachheit halber unbeeinsprucht ließ. Auch im Verfahren zu VwGH 2007/03/0201 hat der Beschwerdeführer vorgebracht, einen Einspruch gegen die Strafverfügungen habe er lediglich im Hinblick auf die „relativ geringen Strafbeträge“ und den mit einer allfälligen Bekämpfung verbundenen Aufwand nicht vorgenommen. Dort allerdings ging es nicht um die Bindung eines Gerichtes sondern einer Verwaltungsbehörde.

Die Rechtfertigung des Beschuldigten, sein Sohn habe das Fahrzeug gelenkt, ist durch kein Beweisergebnis widerlegt. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, Einvernahme des Beschuldigten und seines Sohnes in freier Beweiswürdigung des unmittelbar gewonnenen Eindrucks von der Glaubwürdigkeit zu der Überzeugung gelangt, dass der Beschuldigte nicht Lenker des Fahrzeuges war.

Nicht einmal der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass die Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichtes, auf die es den Freispruch stütz, unrichtig wäre, sondern hat diese aufgrund der  Bindungswirkung der Strafverfügung für unzulässig erklärt. Durch eine derartige Beweisregel würde aber massiv in die materielle Wahrheitsfindung durch die Verwaltungsgerichte eingegriffen.

 

Teilen mit: