Suche nach dem Recht im GPS-Modus

Jabloner-D743-4A51-BF6E-2161C323E683_v0_lJuristen drohen Systemverständnis zu verlieren, warnt Ex-VwGH-Präsident Jabloner.

Von Benedikt Kommenda  (Die Presse)

Für Clemens Jabloner, den ehemaligen Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH), gleicht die Suche nach rechtlichen Lösungen zunehmend einer Fahrt mit einem Navigationssystem: Man kommt relativ verlässlich ans Ziel, ohne jedoch vom Weg dorthin eine Vorstellung zu haben. „Es ist eine Art GPS-Effekt“, sagt Jabloner im Interview mit der „Presse“. Sei man früher in eine fremde Stadt gefahren, habe man sich zunächst mit einer Landkarte und einem Stadtplan über die Strukturen informiert; heute führe einen das Navigationssystem in die kleinste Straße, aber orientieren könne man sich nicht.


Auf ähnliche Weise drohen Juristen das Verständnis vom Rechtssystem zu verlieren. Darauf will Jabloner bei den Alpbacher Rechtsgesprächen hinweisen, die sich am Mittwoch und Donnerstag mit der künftigen Entwicklung des Rechts beschäftigen. Begünstigt werde die zunehmende Unübersichtlichkeit durch die Digitalisierung des Rechts: Einerseits sei nur mehr mit digitalen Mitteln die Masse unstrukturierter, polyzentrisch erzeugter Normen und einschlägiger Gerichtsentscheidungen zu bewältigen; andererseits beförderten diese Speichermöglichkeiten den weiteren Anstieg der Normenflut.

Jabloner hält die akademische Beschäftigung mit dem Recht vor diesem Hintergrund für unerlässlich. „Ich bin dagegen, dass man Juristen zu reinen Maschinenbedienern ausbildet“, sagt Jabloner. Vielmehr sollten ihnen weiterhin eine kritische Sicht und eigene Kreativität vermittelt werden. „Sonst werden die Juristen den heißen Atem der Elektronik im Nacken verspüren und überflüssig werden, sobald sich das Recht nur noch in Algorithmen der Datenverarbeitung abspielt.“ Diese Vorstellung widerspreche der Tradition der österreichischen Rechtslehre: Deren großes Verdienst sei es gewesen, theoretische Modelle zu entwickeln, die zu praktisch-legistischen Konsequenzen geführt hätten. So habe Hans Kelsens Theorie des Stufenbaus die Schaffung des Verfassungsgerichtshofs vorbereitet.

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ZUR PERSON
Clemens Jabloner, am 28. November 1948 in Wien geboren, wurde 1991 aus dem Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts kommend zum Vizepräsdenten des Verwaltungsgerichtshofs bestellt. Jabloner hat sich im Öffentlichen Recht habilitiert. Von 1993 bis Ende 2013 war er Präsident des Gerichtshofs. 1998 bis 2003 leitete er die Historikerkommission zum NS-Vermögensentzug, seit 2007 sitzt er dem Kunstrückgabebeirat vor. Übermorgen, Mittwoch, tritt er bei den Rechtsgesprächen in Alpbach auf.

Am 1. September übernimmt Jabloner eine halbe Professor am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. Er wird sich dort vor allem mit Rechtsphilosophie und juristischer Methodenlehre beschäftigen.

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