Nach eigenem Ermessen

Die FPÖ plakatiert im Wahlkampf: „Asylbetrüger müssen gehen“. Die restlichen Parteien formulieren es andersherum, aber es läuft auf dasselbe hinaus: Wem Asyl zusteht, der soll auch Asyl bekommen. Nur – wem steht Asyl zu, wem nicht, wer ist ein „Betrüger“, und wie kann man das ordentlich recherchieren?

 Simon Hadler, ORF.at

asyl_recherche_asylwerber_2q_innen_zko.4519590Das Gewicht der ersten paar Sätze

Das beginnt mit der Frage, ob diese eine erste Antwort zur Begründung für eine Entscheidung in Erwägung gezogen werden darf. Caritas-Rechtsexpertin Katrin Hulla sagt: Nein. Das sei auch nicht sinnvoll. Die Menschen kämen gestresst nach einer langen Flucht, würden vielfach unter den Folgen einer Traumatisierung leiden, seien oft nur wenig gebildet und könnten aus all diesen Gründen ihr Anliegen nicht stringent vorbringen, schon gar nicht in ein paar Sätzen. Es sei problematisch, ihnen später etwas vorzuhalten, was in dieser Situation gesagt wurde.

Dem widerspricht Elmar Samsinger. Er repräsentiert die andere Seite im Asylverfahren. Seit 15 Jahren entscheidet er in zweiter Instanz über Asylfälle, zuerst für den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBAS), später für den neu gegründeten Asylgerichtshof. Im Interview – in dem er seine eigene Meinung wiedergibt und nicht den Gerichtshof vertritt – pocht er vor allem auf seine Erfahrung. Es gibt kaum etwas, das er in all den Jahren nicht schon einmal gehört hat.

Die Polizistin, die lacht

Samsinger besteht darauf: „Alles, was ein Asylwerber sagt, kann auch gegen ihn verwendet werden.“ Jeder, der nach Österreich komme, habe das monatelang geplant. Dass hier plötzlich jemand gestresst vor den Polizisten stehe und etwas Unüberlegtes sage, sei sicher nicht die Regel. Und dann, so Samsinger, müsse man den Behörden schon einmal erklären, warum später, nach Gesprächen mit anderen Asylwerbern und Rechtsberatern, plötzlich neue Asylgründe dazukämen.

Ali war in Traiskirchen bei der Ersteinvernahme. Die Polizistin sei richtig nett gewesen, erzählt er, sie habe sogar ein paar Mal gelacht. Später hat er das nicht wieder erlebt. Beamte, meint er, würden ihm zwar nicht wirklich böse, aber immer sehr ernst und teilweise unwillig gegenübertreten. Nach zwei Monaten folgte schließlich die richtige Einvernahme durch die erste Instanz – das Bundesasylamt. Knapp zwei Stunden hatte er Zeit, seine Situation zu schildern.

„So kurz wie möglich“

Ob er alles anbringen habe können, was er für wichtig gehalten habe in Bezug auf seinen Asylgrund? „Nein. Ich wollte einiges ausführlicher erklären, aber der Referent hat gesagt: ‚So kurz wie möglich.‘“ Asylrichter Samsinger erklärt das damit, dass es gerade in erster Instanz aufgrund der vielen Verfahren vor allem darum gehe, mögliche Asylgründe zu ermitteln, und nicht um Dinge, die mit dem Asylverfahren nichts zu tun haben.

Er beschreibt das Frage-Antwort-Spiel mit einem Asylwerber: Frage – Antwort – Nachfrage – Antwort – weitere Nachfrage, immer weiter ins Detail, bis hin zur Farbe des Plakats, das jemand bei einer Demonstration gehalten habe: „Wenn seine Geschichte nicht stimmt, hängt er sich irgendwann auf, weil er nicht damit gerechnet hat, dass ich ihn so detailliert frage. Was uns hilft: Die meisten Asylwerber denken nicht so wie wir. Unser systematisches Denken ist ihnen fremd. Ist ein Asylwerber stringent bis zum Ende – dann wird er wahrscheinlich glaubwürdig sein.“

Die „Ausdehnung“ des Asylbegriffs

Das ist genau einer der Punkte, die Asylrichter Samsinger, der schnell einmal emotional wird, aufregen. Der Asylbegriff werde immer weiter ausgedehnt auf Bereiche, die eigentlich mit Asyl nichts zu tun hätten. Für Entscheidungen über Behandlungsmethoden von Krankheiten in einem der Heimatländer oder darüber, wie gut sich jemand in einer österreichischen Gemeinde integriert habe, sei er einfach überbezahlt.

Lockerheit als „Amtsmissbrauch“

Die Welt sei nicht gerecht. Aber da müsse man über andere Möglichkeiten diskutieren, wie man jemandem aus humanitären Gründen einen Aufenthalt in Österreich ermöglichen könne. Er sei dafür nicht zuständig. Eine legere Handhabung des Asylrechts wäre schlicht „Amtsmissbrauch“. Auch wenn es ihm persönlich oft leidtue: Asyl sei Asyl. „Und ist’s nichts, dann ist’s nichts.“

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