EGMR: Die Pflicht zur öffentlichen mündlichen Verhandlung ist nicht absolut

In seinem Urteil vom 18. 7. 2013 im Fall Schädler-Eberle gegen Liechtenstein behandelte der EGMR die Zulässigkeit des Unterbleibens einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Verwaltungsgericht.

In Zivilverfahren vor dem ersten und einzigen Gericht besteht ein Anspruch auf eine öffentliche mündliche Verhandlung (hier: betreffend die Gültigkeit eines Flächenwidmungsplanes), außer wenn außergewöhnliche Umstände deren Entfall rechtfertigen. Die Pflicht zur Verhandlung ist daher nicht absolut. Ob derartige außergewöhnliche Umstände vorliegen, hängt von den Fragen ab, über die zu entscheiden ist, nicht von der Häufigkeit solcher Verfahren. Das Absehen von einer Verhandlung ist daher nicht nur zulässig, wenn es sich um seltene Verfahren handelt.

Es gibt Verfahren, in denen eine Verhandlung nicht geboten ist, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten sind, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist und das Gericht aufgrund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden kann. Die staatlichen Behörden können auch auf Aspekte der Effizienz und Verfahrensökonomie Rücksicht nehmen; die systematische Durchführung von Verhandlungen kann die notwendige Sorgfalt bei der Erledigung beeinträchtigen, etwa in Sozialversicherungsfällen, in denen es allgemein um eher technische Fragen geht, die in einem schriftlichen Verfahren besser gelöst werden können. Schließlich kann auch auf das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer Bedacht genommen werden. Eine Verhandlung kann schließlich auch dann entfallen, wenn darauf eindeutig verzichtet wird.

Im gegenständlichen Fall hatte die Beschwerdeführerin zwar die Einvernahme von Zeugen beantragt, deren Aussagen aber – selbst wenn sie einvernommen worden wären – zur strittigen Frage der Gültigkeit des Flächenwidmungsplanes nichts beigetragen hätten. Die Lage der betroffenen Grundstücke war allgemein bekannt und aus Fotos im Akt ersichtlich. Die Beschwerdeführerin konnte zu allen Beweismitteln Stellung nehmen, wie dies in einem kontradiktorischen Verfahren geboten ist.

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