Unter welchen Voraussetzungen darf ein in Österreich tätiger „Planender Baumeister“ in Bayern die Berufsbezeichnung „Architekt“ führen. Diese Frage hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Auslegung der EU-Richtlinie 2005/36/EG vom 7. September 2005 über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vorgelegt.
Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger mit privaten Wohnsitzen sowohl in Österreich als auch in Bayern. 2007 legte er nach österreichischem Recht („Maria-Theresianisches Privileg“) die Prüfung als Baumeister ab. Seitdem praktiziert er als Planender Baumeister in Österreich, wo er sein Planungsbüro betreibt. Zuvor hatte er u.a. die Gesellen- und die Meisterprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk sowie die Meisterprüfung im Stuckateur-Handwerk abgelegt. Ferner erwarb er 2012 den Akademischen Grad eines Diplom-Ingenieurs (FH) in der Studienrichtung Bauingenieurwesen (Hochbau). Seinem im Jahr 2008 gestellten Antrag auf Eintragung in die Architektenliste der Bayerischen Architektenkammer entsprach der Beklagte nicht.
Das Berufungsgericht verpflichtete den Beklagten, über die Eintragung des Klägers als freiberuflicher Architekt (Hochbau) in die Architektenliste positiv zu entscheiden. Der Kläger erfülle mit seiner beruflichen Qualifikation und Tätigkeit als Planender Baumeister die Voraussetzungen für seine Eintragung in die Architektenliste nach Art. 4 Abs. 5 des bayerischen Baukammerngesetzes (BauKaG) in Verbindung mit den darin in Bezug genommenen Regelungen (insbesondere Art. 10 Buchst. c sowie Art. 11 und 13) der EU-Richtlinie.
Das Bundesverwaltungsgericht hat auf die dagegen vom Beklagten eingelegte Revision das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. a) Sind „besondere und außergewöhnliche Gründe“ im Sinne von Art. 10 der Richtlinie diejenigen Umstände, die in den nachfolgenden Fallgruppen (Buchstaben a bis g) definiert werden, oder müssen zusätzlich zu diesen Umständen „besondere und außergewöhnliche Gründe“ gegeben sein, aus denen der Antragsteller die in den Kapiteln II und III des Titels III der Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllt?
b) Welcher Art müssen die „besonderen und außergewöhnlichen Gründe“ im letztgenannten Fall sein? Muss es sich um persönliche Gründe – etwa solche der individuellen Biographie – handeln, aus denen der Migrant die Voraussetzungen für die automatische Anerkennung seiner Ausbildung nach Kapitel III des Titels III der Richtlinie ausnahmsweise nicht erfüllt?
2. a) Setzt der Begriff des Architekten im Sinne von Art. 10 Buchstabe c der Richtlinie voraus, dass der Migrant im Herkunftsmitgliedstaat über technische Tätigkeiten der Bauplanung, Bauaufsicht und Bauausführung hinaus auch künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische, wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische Tätigkeiten entfaltet hat oder nach seiner Ausbildung hätte entfalten dürfen, und ggf. in welchem Ausmaß?
b) Setzt der Begriff des Architekten im Sinne von Art. 10 Buchstabe c der Richtlinie voraus, dass der Migrant über eine Ausbildung auf Hochschulniveau verfügt, die hauptsächlich auf Architektur in dem Sinne ausgerichtet ist, dass sie über technische Fragen der Bauplanung, Bauaufsicht und Bauausführung hinaus auch künstlerisch-gestaltende, stadtplanerische, wirtschaftliche und gegebenenfalls denkmalpflegerische Fragen umfasst, und ggf. in welchem Ausmaß?
c) (i) Kommt es für a) und b) darauf an, wie die Berufsbezeichnung „Architekt“ in anderen Mitgliedstaaten üblicherweise verwendet wird (Art. 48 Abs. 1 der Richtlinie);
(ii) oder genügt es festzustellen, wie die Berufsbezeichnung „Architekt“ im Herkunftsmitgliedstaat und im Aufnahmemitgliedstaat üblicherweise verwendet wird;
(iii) oder lässt sich das Spektrum der im Gebiet der Europäischen Union üblicherweise mit der Bezeichnung „Architekt“ verbundenen Tätigkeiten Art. 46 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie entnehmen?
BVerwG 8 C 9.12 – Beschluss vom 10. Juli 2013