EuGH: Missbräuchlicher Asylantrag kann Inhaftierung des Asylbewerbers rechtfertigen

Ein Asylbewerber kann nach nationalem Recht im Hinblick auf seine Abschiebung wegen illegalen Aufenthalts in Haft behalten werden, wenn der Asylantrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden. Dies betont der Europäische Gerichtshof ins seinem Urteil vom 30.05.2013 (C-534/11- Arslan)

Die nationalen Behörden hätten jedoch fallspezifisch zu prüfen, ob dies zutrifft und ob es objektiv erforderlich und verhältnismäßig ist, die Haft des Asylbewerbers aufrechtzuerhalten, um zu verhindern, dass er endgültig seiner Rückführung entgeht (Urteil vom 30.05.2013, Az.: C-534/11, BeckRS 2013, 81102). Die Rückführungsrichtlinie 2008/115 schafft gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Abschiebung von Drittstaatsangehörigen, die sich in ihrem Hoheitsgebiet illegal aufhalten. Diese Drittstaatsangehörigen können unter bestimmten Voraussetzungen für einen Zeitraum, der im Allgemeinen sechs Monate nicht überschreitet, inhaftiert werden, um den ordnungsgemäßen Ablauf ihrer Abschiebung zu gewährleisten.

Mehmet Arslan, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde von der tschechischen Polizei wegen illegalen Aufenthalts festgenommen und inhaftiert. Am darauffolgenden Tag erließen die tschechischen Behörden eine Abschiebungsentscheidung gegen ihn. Einige Tage später setzten sie mit einer zweiten Entscheidung die Dauer seiner Haft auf 60 Tage fest, was sie mit der Vermutung begründeten, Arslan werde die Abschiebung vereiteln. Sie argumentierten, dass der Betreffende unter Umgehung der Grenzkontrollen heimlich in den Schengen-Raum eingereist sei und sich ohne Reisedokument und Visum in Österreich und in der Tschechischen Republik aufgehalten habe. Zudem sei er bereits 2009 im Besitz eines falschen Reisepasses im griechischen Hoheitsgebiet von der Polizei aufgegriffen, in der Folge in sein Herkunftsland zurückgeschickt und in das Schengener Informationssystem aufgenommen worden, da ihm die Einreise in den Schengen-Raum vom 26.01.2010 bis zum 26.01.2013 untersagt wurde. Am Tag des Erlasses dieser Entscheidung stellte Arslan einen Asylantrag. Während dieser Antrag geprüft wurde, wurde die Haft um 120 Tage verlängert.

Mehmet Arslan ficht vor den tschechischen Gerichten die Rechtmäßigkeit dieser letzten Entscheidung über die Verlängerung seiner Haft an. In der Zwischenzeit ist er wegen Erreichens der Höchstdauer von sechs Monaten entlassen worden, und sein Asylantrag ist im Übrigen abgelehnt worden. Der mit dem Rechtsstreit befasste Nejvyšší správní soud (Oberster Verwaltungsgerichtshof Tschechiens) legte die Sache dem EuGH vor. Er will wissen, ob ein Asylbewerber zum Zweck der Abschiebung aus dem Gebiet der Union wegen illegalen Aufenthalts rechtmäßig in Haft behalten werden kann.

Der EuGH stellt zunächst fest, dass ein Asylbewerber das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaats zumindest bis zur erstinstanzlichen Ablehnung dieses Antrags aufzuhalten. Daher könne er während dieses Zeitraums nicht als in diesem Staat illegal aufhältig angesehen werden. Die Mitgliedstaaten könnten dieses Recht sogar ausweiten, indem sie den Asylwerbern gestatten, sich bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung über ihren Antrag in ihrem Hoheitsgebiet aufzuhalten.

Allerdings könne ein Mitgliedstaat Gründe festlegen, aus denen ein Asylbewerber inhaftiert oder in Haft gehalten werden kann. In diesem Zusammenhang weist der EuGH darauf hin, dass Mehmet Arslan mit der Begründung inhaftiert wurde, dass sein Verhalten Anlass zur Befürchtung gebe, dass er fliehen würde, und dass er seinen Asylantrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt zu haben scheine, den Vollzug der gegen ihn erlassenen Rückführungsentscheidung zu verzögern, wenn nicht gar zu gefährden. Solche Umstände könnten tatsächlich die Aufrechterhaltung der Haft auch nach Stellung eines Asylantrags rechtfertigen.

Denn die Haft sei nicht die Folge der Stellung des Asylantrags, sondern der Umstände, die das individuelle Verhalten des Antragstellers vor und bei Stellung des Antrags kennzeichnen. Zudem sei diese Haft erforderlich, um zu verhindern, dass der Betreffende endgültig seiner Abschiebung aus dem Gebiet der Union entgeht, und somit erforderlich, um die praktische Wirksamkeit der Vorschriften über die Rückführung illegal aufhältiger Personen zu gewährleisten. Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass der alleinige Umstand, dass gegen einen Asylbewerber im Zeitpunkt seiner Antragstellung eine Rückführungsentscheidung erlassen und er inhaftiert wird, nicht die Vermutung zulässt, dass er diesen Antrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt habe, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden. Dies müsse fallspezifisch geprüft werden. Die nationalen Behörden hätten auch zu beurteilen, ob es objektiv erforderlich und verhältnismäßig ist, den Asylbewerber weiter in Haft zu behalten.

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