„Größter Gewinner der Reform ist, wer Rechtsschutz sucht“

Der Umbau des Instanzenzugs 2014 bringt Chancen, aber auch Herausforderungen.

 BENEDIKT KOMMENDA (Die Presse)

presse-logoHaibach ob der Donau. Das Jahr 2014 bringt die größte Umstellung des Rechtsschutzes in der Verwaltung, seit es das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 gibt: Elf neue Verwaltungsgerichte, zwei des Bundes und neun der Länder, übernehmen durchgängig in sämtlichen Angelegenheiten der Verwaltung – von Abgaben bis Zivildienst – die Funktion als zweite Instanz. Für Harald Perl, kommender Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und damit bald des größten Gerichts Österreichs, steht bereits fest, wer am meisten Nutzen daraus ziehen wird: „Der größte Gewinner der Reform ist der Rechtsschutzsuchende“, sagte Perl am Wochenende am Rande der Tagung der Österreichischen Juristenkommission (ÖJK) in Haibach ob der Donau zur „Presse“. Perl: „Wer nicht einverstanden ist mit einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung, kann auf direktem Weg ein unabhängiges Gericht anrufen und hat keinen langen Instanzenzug in der Verwaltung.“

 „Kein Justizstaat, sondern ein Rechtsschutzstaat“

Die Frühjahrstagung der ÖJK war der Frage „Justizstaat: Chance oder Risiko?“ gewidmet. Dabei war man sich einig, dass auch mit Einführung der neuen Gerichte – zu einem guten Teil gehen sie aus bestehenden Einrichtungen wie dem Asylgerichtshof, dem Unabhängigen Finanzsenat und den Unabhängigen Verwaltungssenaten hervor – nicht alle Macht auf Richter übergeht. „Kein Justizstaat, sondern ein Rechtsschutzstaat“ sei das, worauf Österreich hinsteuere, sagte WU-Professor und Verfassungsgerichtshof-Mitglied Christoph Grabenwarter in seinem Eröffnungsvortrag. Rudolf Thienel, Vizepräsident des Verwaltungsgerichtshofs, stimmt im Gespräch mit der „Presse“ zu: „Es ist eine Neukonturierung der rechtsstaatlichen Instrumente, aber die zentrale Rolle der Verwaltung bleibt erhalten“, sagte Thienel. „Das Verwaltungsgericht soll sie kontrollieren, aber nicht ersetzen.“

 „Für uns in der Verwaltung ist Justiz immer ein gewisses Problem“

Trotzdem heißt es umdenken in der Verwaltung. „Für uns in der Verwaltung ist Justiz immer ein gewisses Problem“, bemerkt ein nicht genannt werden wollender Beamter. Die Verwaltung muss sich jetzt also mit dem Gedanken anfreunden, dass sie ihre steuernde Funktion schon in zweiter Instanz einbüßt – einzig und allein im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde, zu dem vor allem das Baurecht gehört, gibt es noch einen Instanzenzug vom Bürgermeister zum Gemeinderat. „Der Einfluss auf die letztinstanzliche Sachentscheidung ist weg“, so Grabenwarter. Und Roland Miklau, Präsident der ÖJK, ergänzt: „Die Verwaltung muss so arbeiten, dass die Behördenentscheidungen erster Instanz vor den Gerichten halten.“ Die Spitzen der Verwaltung – wie Minister, Landeshauptleute, Landesregierungen – werden sich unterdessen mehr auf die strategische Planung verlegen.

Verwaltung verliert an Macht

Zwar wird die – weisungsgebundene – erste Instanz eine „zweite Chance“ (Grabenwarter) bekommen: Sie wird mit einer Beschwerdevorentscheidung dem Beschwerdeführer den Wind aus den Segeln nehmen können. Auch wird die Verwaltungsspitze sich mit Amtsbeschwerde (an das Verwaltungsgericht) oder Amtsrevision (an den Verwaltungsgerichtshof) in den Rechtsstreit einlassen können. Trotzdem ist der Machtverlust der Verwaltung unübersehbar. Umso bemerkenswerter ist für Miklau der Umstand, dass Bund und Länder sich voriges Jahr auf diese tiefgreifende Reform geeinigt haben: „Das hat erstaunlich gut geklappt.“

Ob und wie das Konzept aufgeht, wird sich aber erst zeigen müssen. Zurzeit etwa werden die 168 Richter für das Bundesverwaltungsgericht rekrutiert – neben 75 Asylrichtern und einem guten Dutzend Mitgliedern des Bundesvergabeamts werden rund 80 weitere Richter aus 500 Bewerbungen ausgewählt. Kenntnisse quer durch das gesamte Verwaltungsrecht (ausgenommen das Steuerrecht, das beim Bundesfinanzgericht konzentriert sein wird) sind gefragt.

Dazu braucht es noch die richtige richterliche Haltung – als bisheriger Beamter bloß das „Unabhängigkeitskapperl“ (Miklau) aufzusetzen wird ebenso wenig genügen wie das Auswechseln von Türschildern. Miklau plädiert dafür, trotz aller Diversität auf ein einheitliches Richterbild hinzuwirken. „Das geht nicht von heute auf morgen, sondern wird Jahre dauern.“ Aber da die Gerichtsbarkeit als dritte Staatsgewalt neben Legislative und Exekutive die schwächste sei und auch bleiben werde, sollten die Justiz- und die Verwaltungsrichter ihre übergeordneten gemeinsamen Interessen bündeln, etwa, um sie gegenüber der Politik zu vertreten.

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