Gesetzesbeschwerde schwächt den Rechtsstaat

Bild: (c) Vinzenz Schüller

Die Politik plant, dass Bürger nach Gerichtsentscheidungen eine Norm noch selbst beim Verfassungsgerichtshof anfechten können. Diese Neuerung ist aber nicht nötig, sie würde nur das Verfahren in die Länge ziehen.

 Dr. Ronald Rohrer,  Vizepräsident des Obersten Gerichtshofs

Der OGH hat sich Reformüberlegungen nie verschlossen. Hier geht es aber um zentrale Fragen der Lebensgestaltung, wie Obsorge für Kinder, Bestand des Arbeits- oder Mietverhältnisses, Konsumentenschutz, die Möglichkeit, Exekution zu führen oder Pensionen zu erstreiten und vieles mehr, über deren möglichen Ausgang die Menschen nicht im Ungewissen sein sollen. Wie auch immer man die Gesetzesbeschwerde gesetzestechnisch konstruiert, vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs wäre der Rechtsstreit nicht geklärt; es könnte nicht sicher disponiert werden. Die erhebliche Verfahrensverlängerung – nach der vom VfGH veröffentlichten Statistik käme es inklusive Anfechtungsfrist zu einer zusätzlichen durchschnittlichen Verfahrensdauer von mindestens zehn Monaten – geht zulasten der rechtsuchenden Bevölkerung.

Die Gesetzesbeschwerde wird den sich aus der fortschreitenden Eingliederung in die Rechtsgemeinschaft der EU ergebenden völlig neuen Ansätzen nicht gerecht. Sie bedeutet vielmehr eine Entwicklung zum Verschleppungstaktik fördernden Rechtsmittelstaat, der mit verlängerten und verteuerten Verfahren keine verbindliche Orientierung bietet, die Abstimmung mit der Gemeinschaftsrechtsordnung erschwert und erhebliche volkswirtschaftliche Kosten verursacht. Zu den drei gerichtlichen Instanzen käme eine vierte und den EuGH eingerechnet eine fünfte.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation sollte mit der Einführung der Gesetzesbeschwerde nicht auf ein durch die Rechtsentwicklung überholtes Modell zurückgegriffen werden. Eine derart gravierende Systemänderung gefährdet die zentralen Werte des gerichtlichen Verfahrens – vorhersehbare Entscheidungen in angemessener Zeit und zu vertretbaren Kosten – und schwächt die Position der österreichischen Rechtsprechung in den komplexeren neuen Rahmenbedingungen der EU.

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