Der Verfassungsgerichtshof hat sich in seinen Entscheidungen U 466/11 und U 1836/11 mit dem Verhältnis von Europäischer Grundrechtecharta zum Bundesverfassungsgesetz auseinandergesetzt. Anlass dafür waren Beschwerden gegen Entscheidungen des Asylgerichtshofes.
(VfGH Presseinformation vom 4. Mai 2012)
In diesen richtungsweisenden Entscheidungen hat der Verfassungsgerichtshof folgendes festgestellt:
o In Verfahren, in denen Unionsrecht eine Rolle spielt, ist die EU-Grundrechte-Charta wie die Verfassung zu sehen.
o Grundrechte, die durch diese EU-Charta garantiert sind, sind also verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, die vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können.
o Neben der Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist ab sofort auch die EU-Grundrechte-Charta Prüfungsmaßstab für die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter.
o Behörden, die Entscheidungen treffen, sowie verordnungserlassende Stellen und der Gesetzgeber haben die EU-Grundrechte-Charta gleichsam als Teil der Verfassung zu berücksichtigen. Welche Konsequenzen hat nun diese Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes?
o In Beschwerden und Anträgen an den VfGH, in denen Unionsrecht eine Rolle spielt, kann vorgebracht werden, dass die EU-Grundrechte-Charta verletzt worden ist.
o Verletzt eine Entscheidung einer Behörde Rechte, die von der EU-Grundrechte-Charta garantiert werden, wird der Verfassungsgerichtshof eine solche Entscheidung als verfassungswidrig aufheben.
o Kommt der Verfassungsgerichtshof nach einem entsprechenden Verfahren zur Ansicht, dass ein Gesetz in Widerspruch zur EU-Grundrechte-Charta steht, wird er das Gesetz als verfassungswidrig aufheben.
o Der VfGH wird diese Entscheidungen dann ohne vorherige Befassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) treffen, wenn er zweifelsfrei dazu in der Lage ist. Wenn er Zweifel an der Art und Weise der Auslegung der EU- Grundrechte-Charta hat, wird der VfGH dem EuGH Fragen zur Klärung dieser Zweifel vorlegen.